1. September 1970, Dienstag: Ein Tunnel durch den Mutschellen?

Das ist keine wissenschaftliche Abhandlung. Höchstens der Versuch, einen vagen Eindruck etwas handfester zu fassen. Der Eindruck: Vor etwa 1972 habe man mit leuchtenden Augen in die Zukunft geblickt, an die Segnungen der Technik geglaubt und die ewige Verbesserung der Welt; danach hätten sich Pessimismus und Skepsis gegenüber dem 'Fortschritt' breit gemacht. Vorher hatte Kennedy seinen Leuten vom Mond vorgeschwärmt, "because there is new knowledge to be gained" , das man nutzen müsse "for the progress of all people" – und ein paar seiner Leute hatten sich in einer Blechbüchse zum Mond schiessen lassen. In der Schweiz baute man ein AKW ums andere, um für den Fortschritt genügend Strom zu haben. Und an den Hochschulen debattierte man über Gott und die Welt. Dann kam die Wende: der Club of Rome veröffentlichte seinen Bericht zu den 'Grenzen des Wachstums'. Die Atomkraftwerke werden eingemottet, die Gentechnik mit Moratorien belegt, an den Hochschulen rufen Studierende laut nach safe spaces, damit sie nicht mit Gedanken konfrontiert werden, die sie verletzen könnten, und die kleinen Kinder bekommen von ihren Eltern einen Helm verpasst, sobald sie den ersten Fuss auf ihr Plastik-Trottinett setzen.

Der folgende Artikel als Aufmacher des Bremgarter Bezirks-Anzeigers vom 1. September 1970 ist ein Zeugnis aus der Ära vor dieser Wende.

'Vorschlag für die Verbesserung der Bahnverbindung Wohlen – Bremgarten – Limmattal'

Der Titel tönt wenig bewegend. Der Vorschlag aber mutet, wenn man ihn 50 Jahre später anschaut, geradezu utopisch an.

Bremgarter Bezirksanzeiger, 1.9.1970

Der Kern des Vorschlags von Dr. Ing. J. Killer aus Baden: Die BDB taucht in Bremgarten in einen Tunnel und kommt in Rudolfstetten wieder aus dem Tunnel heraus. Der Mutschellen wird in einer Röhre unterfahren. Unglaublich, nicht? Und damit die Leute auf dem Mutschellen ebenfalls zusteigen können, fahren sie bequem mit dem Lift in die unterirdische Station.

Die Überlegung hinter dem Projekt: Immer mehr Leute ziehen in die Region um den Mutschellen, aber sie arbeiten im Limmattal oder in Zürich. Und die Fahrt dazwischen dauert zu lange. Mit dem Tunnel könnte man von Bremgarten in 4 Minuten statt in 14 in Rudolfstetten sein. Und wenn man statt nach Dietikon – schwierige Streckenführung durch die Stadt – die Linie über Urdorf nach Zürich weiterziehen würde, könnte man nonstop in 14 Minuten von Bremgarten in Zürich sein!

Gleichzeitig dachte man in Zürich über den Bau einer U-Bahn nach. Anfänglich schwärmten viele. Doch irgendwann drehte der Wind, und am 20. Mai 1973 wurde das Projekt in einer Volksabstimmung abgelehnt. Über einen Tunnel durch den Mutschellen hat man nicht einmal abgestimmt.