16. März 1971, Dienstag: Aufsatz 12: Wie sehen wir unsere Zukunft?

Hat mich die Frage beschäftigt, damals, in jenem März 1971, was ich in Zukunft einmal beruflich tun würde? Hat sie uns beschäftigt? Wir waren 13, 14, Ende der zweiten Bez, drängend war die Frage nicht: wenn alles normal laufen würde, hatten wir noch zwei Jahre bis zum Ende der Schulzeit.

Ich weiss nicht einmal, ob mir ganz genau klar war, was mein Vater beruflich tat. Im Telefonbuch stand: 'Fabrikant'. Ab 2001 gab es in der Schweiz den 'Tochtertag': den Tag, an dem die Väter ihre Töchter zur Arbeit mitnahmen, um ihnen zu zeigen, welcher Arbeit sie nachgingen. Für die Buben war die Frage offenbar kein Thema, die gingen an diesem Tag einfach ganz normal in die Schule. Ein Projekt der Gleichstellungsbeauftragten der Kantone. Immerhin: 2010 besann man sich eines Besseren, aus dem Tochtertag wurde der 'nationale Zukunftstag', an dem auch die Buben mitmachen konnten. Aber eben: das gab es damals nicht, und zum Berufsberater würden wir erst später gehen.

Romano Caduff wollte vielleicht sondieren, wie weit wir damals bereits in die Zukunft blickten. Jedenfalls gab er uns diese Aufgabe auf, als wir an jenem Dienstag, dem 16. März, um Viertel vor vier, nach der langen Pause, bei ihm ins Klassenzimmer kamen und in unsern Bänken Platz nahmen. Pias Aufsatz ist überschrieben mit 'Zukunftspläne', meiner mit 'Mein künftiger Beruf'.

Pia hatte vor 50 Jahren teils schon sehr klare Vorstellungen – zumindest in Bezug auf Berufe, die nicht in Frage kamen: "Ein Beruf, bei dem man irgendwelche handwerklichen Fähigkeiten haben muss, kommt für mich gar nicht in Frage, denn ich bin dafür völlig unbegabt." Eine gute Ausbildung war ihr wichtig, und "Wenn ich mich jetzt entscheiden müsste, so glaube ich, dass ich die Handelsmatura wählen würde." Die Wahl schien sich aufzudrängen, weil man für die C-Matur "fast ein mathematisches Genie sein" müsse, und als solches sah sie sich nicht. Für die B-Matur hatte sie wegen des Lateins Bedenken. Die A-Matur fiel weg, "da ich nicht im Sinn habe, Griechisch zu lernen." Sie möge Fremdsprachen, und deshalb komme die neusprachliche Matur in Frage. Doch welche Möglichkeiten hat man, wenn man die Matur hat? "…darüber bin ich mir auch nicht ganz im klaren."

Wünsche und Zweifel, was die Zeit nach einer Matur angeht: "Vielleicht entschliesse ich mich einmal für den Beruf einer Sekretärin. Aber ich möchte einen interessanten Posten haben." Oder, weil sie gern in andere Länder reist, könnte es – mindestens für ein paar Jahre – auch "Hostess" sein: "Ich stelle mir das sehr schön vor, obwohl mich der Gedanke einer 'fliegenden Serviertochter' nicht allzusehr fasziniert."

"Ich bin in der Berufswahl so unsicher. (…) Ich hoffe auf einen Geistesblitz, der mir meinen idealen Weg zeigt."

Pia ist Bezirksschullehrerin geworden und kehrte nach Bremgarten zurück. In einigen Monaten wird sie dort pensioniert.

Mein Aufsatz beginnt wolkig: "Ein Traumberuf, der mir gegenwärtig vorschwebt, ist Botschafter in einem fremden Land zu sein." An diese Idee mag ich mich erinnern. Wir hatten eine Verwandte, die auf einer Botschaft arbeitete. Meine Mutter fand das toll, und das hat wohl auch auf mich abgefärbt. Dass es bis dahin ein steiniger Weg sein würde, war mir offenbar klar: Sprachen lernen wäre wichtig, und ich würde "ein juristisches Studium absolvieren müssen." Viel Arbeit.

Den Beruf selber stellte ich mir "ziemlich abwechslungsreich" vor: Ich würde "mit den Schweizern in diesem Lande, die Schwierigkeiten haben, in Verbindung treten und sie unterstützen", aber auch "politische Persönlichkeiten empfangen und vielen Vorträgen und langweiligen Sitzungen beiwohnen." Abwechslungsreich, aber auch "anstrengend (…), besonders, wenn das so weitergeht wie jetzt und man jeden Tag aufpassen muss, dass man nicht von einigen Gangstern entführt und festgehalten wird." Es war tatsächlich eine Zeit, in der baskische Nationalisten und verschiedene Guerilla-Gruppen in Südamerika Leute entführten, nicht zuletzt Botschaftsangehörige. So war am 7. Dezember 1970 der Schweizer Botschafter in Brasilien, Giovanni Enrico Bucher, von brasilianischen Guerilleros entführt und erst am 16.1.1971 freigelassen worden, im Austausch gegen 70 politische Gefangene.

Das 'juristische Studium' wie auch den Botschafterberuf: beides verlor ich irgendwann aus dem Blick, wurde stattdessen Radiojournalist und Ausbildner. Beim Radio habe ich ein paar Leute getroffen, die erzählten mir, sie hätten schon als Kind Tonbandkassetten vollgeredet und Moderator werden wollen; oder Redaktor bei den Nachrichten: mitmachen bei der Sendung, bei der es an den Mittagstischen im Land früher immer still wurde. Ja, es gibt sie schon, die Kinder, die schliesslich das werden, was sie schon immer werden wollten.