9. Dezember 1972, Samstag: Aktion 'Jung hilft Alt'

Was uns vorschwebte: etwas wie letztes Jahr. Die 'Aktion pro Bengalen' war ein schulischer Glücksfall gewesen: SchülerInnen, die sehen, was sich draussen tut in der Welt, darauf reagieren, miteinander innerhalb und ausserhalb der Schule etwas unternehmen – und damit Erfolg haben. Wir hatten uns engagiert, um etwas gegen das Elend in Bangladesch zu tun, und mit unserer Aktion einen Beitrag leisten können.

So etwas wollten wir wieder tun.

Wie wir auf das Thema 'Jung hilft Alt' gekommen sind, weiss ich nicht mehr. Aber es bot sich sicher an, nach dem Blick in die weite Welt ihn diesmal auf die nähere Umgebung zu richten. In der 'Aktionszeitung' steht dazu, dass es das Ziel sei, "alten und bedürftigen Leuten in Bremgarten und Umgebung zu helfen. Wir fragten uns, ob es denn in einer Zeit ausgesprochenen Wohlstandes bedürftige Mitmenschen gebe. Das Fürsorgeamt musste uns diese Frage leider bejahen."

Doch das Projekt harzte.

Zuerst Diskussionen mit der Lehrerschaft. Bei einer Besprechung am 21. November wurde uns – Cesi, Dani, Anita, Chrige, Susanne, Röbi, mir – "klargemacht, dass eine so klein wie mögliche Aktion stattfinden sollte" (Tagebuch). Sie sollte deshalb auch nicht einen ganzen Tag dauern, sondern nur einen Nachmittag (am Schluss begann es dann trotzdem um 10 Uhr). Eine Discothek wurde abgelehnt "unter dem Vorwand, in der Adventszeit tanze man nicht".

Und auch bei den andern Bez-Klassen ist die Begeisterung mässig. Ein Teil der Aktion sollte sein, dass einige Buben einen Tag lang beim Bauunternehmen Comolli arbeiten gehen, und dass Comolli den Lohn dafür spendet. Aus unserer Klasse sagen 8 von 10 Buben zu. Aus der 4a und der 4c: kein einziger. Dafür wollen viele Mädchen zu Comolli! Im Tagebuch frage ich mich, ob bei den Mädchen der Wunsch, sich für Gutes einzusetzen, einfach stärker ausgeprägt sei als bei den Buben; oder ob  sie zeigen wollten, "dass sie emanzipiert sind." Eine von ihnen meinte immerhin: "'Warum können denn wir nicht gehen? Wir können das auch.'"

Mittwoch, 29. November: die Blätter der 'Aktionszeitung' werden fertiggestellt, die Matrizenvorlagen vervielfältigt.

Donnerstag, 30. November, 15:30: Treffen uns zu fünft im Soussol des Coop-Hochhauses an der Zürichstrasse, beim "Schlachtsepp": F. Schlachter, der dort die Firma Reuss-Druck betreibt. Er lässt uns weitgehend freie Hand beim Heften der Zeitungen. "Fröhliches Zusammenschaffen unter Freunden in gelockerter Stimmung" (Tagebuch). Auch wenn die Heftmaschine zwischendurch aussteigt: um 18 Uhr laden wir 1000 Aktionszeitungen in den Wagen von Lehrer Caduff.

Link zu 'Aktionszeitung' (PDF)

Dienstag, 5. Dezember: die letzte Zeitung ist verkauft. Beim Verkaufen sind vor allem die ErstklässlerInnen fleissig. 1000 mal 1 Franken = 1000 Franken. Wir haben den Verkauf aber auch gehörig angeheizt: "Wer am meisten Zeitungen der Aktion J-h-A verkauft, erhält eine LP oder eine Tonbandkassette nach Wunsch!!!!", konnte man im Schulhaus lesen.

Dienstag, 5. Dezember: Der Bremgarter Bezirksanzeiger informiert über die Aktion: wie es dazu gekommen ist, und was man erwarten kann. "Die Idee der Bezirksschüler ist schön. Sie kann wunderbar werden, wenn Bremgarten sie durch sein Erscheinen unterstützt, wenn es an Weihnachten auch Freude bereiten will."

Bremgarter Bezirksanzeiger, 5. Dezember 1972

Mittwoch, 6. Dezember: Arbeitseinsätze bei Comolli. Während dieser Tage werden auch noch Flyer verteilt:

Samstag, 9. Dezember: der grosse Tag. Wir kommen schon früh am Morgen nach Bremgarten. Dort: Guezlischachteln abfüllen, die Stände aufbauen, Plakate Malen. "Bis um 10:30 hatten wir ein Riesenplakat fertiggestellt (…). Von Nahe war es eine kleine Schmiererei, doch von weitem wirkte es ausgezeichnet."

Im 'Bazar' im Parterre des Bezirksschulhauses kann man Kerzen kaufen und Karten und Bücher. Ausserdem gibt es eine Kaffee-Stube mit Kuchen und Torten. Draussen: einen Würstli-Stand und sogar eine Schiessbude.

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Die Erwartungen waren nicht allzu hoch gewesen, Lehrer Caduff hatte im Vorfeld gemeint, zweitausend bis dreitausend Franken seien realistisch, das Ziel sei "nicht 5000 Franken". Er sollte sich täuschen. Am Schluss wurden es doch noch 5000 Franken. Im Vergleich mit den über 10'000 Franken für die 'Aktion pro Bengalen' nicht berauschend – aber immerhin.