10. März 1972, Freitag: Ku(h)ltur

Was ist Kultur? Die Frage wird diskutiert, seit das Wort erfunden wurde. Die einen sehen in Kultur das, was sich in Museen und Theatern und zwischen den Deckeln hochgeistiger Bücher abspielt. Andere sagen: Alles, was der Mensch macht, ist Kultur.

Nimmt man die zweite Definition als Massstab, dann ist wohl auch alles Kultur, worauf man in einer Zeitung stösst; dann ist auch die Ausgabe des Bremgarter Bezirksanzeigers vom 10. März 1972 voller Kultur. Ein Blick – und siehe da!

Bremgarter Bezirksanzeiger, 10.3.1972

Der "verdiente Bezirkslehrer" Werner Keller erhält den Stifterpreis des Ducreyfonds. Den – nicht den Fonds, aber Werner Keller – kennen wir doch gut! Hatten ihn in der ersten Klasse in Geschichte, und er war auch bei der Schülerzeitung eine der treibenden Kräfte. Und daneben eben: Theater. Für die Schule zum Beispiel am Jugendfest im Herbst 71. In der Schulchronik findet sich ausserdem ein Zeitungsausschnitt, in dem über eine Aufführung des Stücks 'Der Meisterdieb' berichtet wird, das war im Schuljahr 1968/69, vor unserer Zeit: der Publikumsaufmarsch sei "unerhört" gewesen, "Der Casinosaal war bumsvoll." Zuständig für das Stück war Werner Keller. Hier, wie er Anweisungen gibt…

Aus einem Zeitungsbericht, eingelegt in die Schulchronik. Schuljahr 1968/69

… und hier nach der Aufführung: Keller der Lehrer rechts, links Kurt Steimen, und in der Mitte – unbekannterweise – Turnlehrer Hansueli Blattner, vielleicht der Vorgänger von Fredy Wächter.

"Schon die Tatsache allein, dass junge Lehrer die Initiative ergriffen und ausserhalb des Schulbetriebes mit ihren Schützlingen etwas bieten, ist ein kräftiges 'Bravo' wert." heisst es im Begleittext zu den Fotos.

Aber eben: die Schule ist das eine, das Engagement im Keller-Theater (!) das andere. Im Bremgarter vom 10. März 72 schreibt vz zu den Gründen, weshalb Werner Keller den Preis erhält, unter anderem: "Aus eigener Initiative und Freude hat er die seit dem späten Mittelalter berühmte Theatertradition Bremgartens in den Formen des modernen Keller-Theaters und des Jugendtheaters während Jahren tatkräftig gefördert."

Den Ducrey-Stifterpreis gibt es übrigens noch heute: Im Budget 2022 der Einwohnergemeinde Bremgarten ist ein Posten von 6'500 Franken vorgesehen für die Vergabe des Preises. Den Preis gestiftet hat, wenn man den Ausführungen in einschlägigen Zeitungen im Raum Bremgarten glauben kann, der Arzt und Geschäftsmann Joseph Ducrey Ende des 19. Jahrhunderts. Der Preis sollte Lehrern verliehen werden, die bei der Bildung der einheimischen Jugend Herausragendes leisteten und sich für das geistige und gesellschaftliche Leben Bremgartens einsetzten.

Das also die hohe Kultur. In der Ausgabe des Bezirksanzeigers vom 10. März 72 findet sich aber auch die bodenständige Kultur:

Bremgarter Bezirksanzeiger, 10.3.1972

Wann hat man so etwas letztmals in einer Zeitung gesehen? Heute könnte man allenfalls argwöhnen, ein aufstrebender Konzept-Künstler aus dem hippen Oberwil habe ein Kunstwerk in Form eines Inserats in die Zeitung geschmuggelt mit dem Ziel, den grünen Alltag auf dem Land zu dekonstruieren…