Bremgarter Fasnacht: 10. bis 15. Februar 1972

Am 20. Januar steht in der Zeitung, zu den Gemeinderatsverhandlungen in Rudolfstetten: "Den Dorfvereinen wird die Turnhalle für die Fasnachtsanlässe überlassen, soweit der Gemeinderat hiezu zuständig ist." Vorgesehen sind dafür vier Tage: der 5, 11., 12. und 14. Februar.

Ähnliches findet man auch für die andern Gemeinden, aus denen wir kamen. Ich will mich hier aber auf Bremgarten konzentrieren.

Am 21. Januar erscheint im Bezirksanzeiger ein langer Text, überschrieben mit "D'Bremgarter Fasnacht 1972". Die 'Schpitelturm-Clique' gibt darin einen Überblick über das Fasnachtsprogramm.

Bremgarter Bezirksanzeiger, 21.1.1972

Am 'schmutzigen Donnerstag', dem 10. Februar, wird die Clique, "gemäss uraltem Brauch", die Fasnacht "usrüefe". Um 21 Uhr wird dann auf dem Schulhausplatz der "Fasnachtsesel" "durch die Clique, die Stadtmusik und grossem 'Gefolge' feierlich empfangen." So geht's los. Die Erwartungen der Clique sind dabei nicht bescheiden: "Alle Bremgarter Frauen und Töchter werden um 21.45 Uhr maskiert auf dem Schulhausplatz erwartet, um dem 'Esel' das Geleit in die Altstadt zu geben."

Am Sonntag, dem 13, ist die Basler Guggenmusik 'Mohrenkopf' zu Gast in Bremgarten, sie wird da und dort unterwegs sein, und "auch dem Altersheim wird der Besuch der Guggenmusik eine willkommene Abwechslung sein"… Die Guggenmusik aus Basel gibt es 2022 immer noch, auch nach wiederkehrenden Anfeindungen wegen des Namens.

Am Montag steigt im Casino- und im Reussbrückesaal der Kinderball. Die besten Gruppen und Masken werden prämiert. "Die Eltern können ihre schulpflichtigen Kinder für diesen Nachmittag ruhig der Clique überlassen, sie sind bestens aufgehoben."

Am Dienstag, dem 15.: zuerst das "usrüere". Der Artikelschreiber gibt den Kindern einen guten Tipp: "Je lauter und besser ihr den Satz [Heego! Naaro! Wyss ond rot – pio!] ruft, umso mehr Orangen, Zeltli und Schokoladen prasseln vom Wagen zu euch herunter." Und zum Schluss – auch wenn es halt nach der Schokolade ist – folgt auf dem Schulhausplatz noch das "Wurstverteilen". Die Eltern, falls anwesend, sollten doch bitte mithelfen, "die Ordnung zu halten. Drängen nützt nichts! Es hat für alle Kinder eine Wurst und ein Brötchen."

Das Programm tönt harmlos. Und doch: der Fasnacht wohnte offenbar die Kraft inne, das gewohnte Leben aus seinen Bahnen zu werfen. Gleich zweimal erschienen in der Folge Auszüge aus der Polizeiverordnung in der Zeitung, die auf die Gefährdungen während der Fasnachtszeit aufmerksam machten:

Bremgarter Bezirksanzeiger, 8.2.1972

Abbrennen von Feuerwerk in Häusern? Ja, könnte man. Den Kindern Schusswaffen verkaufen? Na ja. Sich so benehmen oder sich verkleiden, dass man Ärger erregt oder gegen den Anstand verstösst? Das wohl am ehesten, grade an der Fasnacht, Heego Naaro! Die angedrohte Busse – 15 Franken – war für damalige Verhältnisse nicht nichts, aber wohl auch nicht allzu abschreckend – wenn man sich einmal daneben benehmen wollte.

Polizeiliche Strafaktionen habe ich in den Zeitungen, die nach der Fasnacht erschienen, nicht gefunden. Nur eine kurze Notiz, am Dienstag, da war der Fasnachtsesel noch gar nicht abgezogen, das 'usrüere' mit Schokolade und Wurst stand noch bevor, und die "Uslumpete" am Abend in den Restaurants ebenfalls.

Bremgarter Bezirksanzeiger, 15.2.1972

Immerhin: der Tenor der Bilanz ist positiv, und dass ein Highlight wie der grosse Umzug fehlte, weil er nur alle zwei Jahre stattfindet, nimmt der Schreiber als Anlass, sich bereits auf die nächste Ausgabe der Fasnacht zu freuen, im Frühjahr 1973.

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Ha! Keine Schusswaffen? Nichts passiert?

Alex Brogli aus der Parallel-Klasse, dem C, schickt mir im September 2022 ein Mail. Während einer Klassenzusammenkunft ein paar Jahre zuvor habe Fredi S. im kleineren Kreis darüber berichtet, was er an der Fasnacht 1972 erlebt hat. Hier ein Auszug: "Bald wurde Fredis Fasnacht 1972 zum Hauptthema. Er hatte sich vorgenommen, wirklich die 'Sau rauszulassen' und wollte es allen zeigen. Er konnte sich eine voll geladene Pistole 'besorgen' (woher, wollte er immer noch nicht verraten). Gegenüber den Chäpseli-Pistolen und deren Schüsschen war er ganz klar im Vorteil … bis sich ein Schuss löste, als er die Pistole in der Hosentasche mit sich trug. Die Kugel durchschlug sein Knie, womit er und die Umstehenden noch Riesenglück hatten. Fredi landete im Spital, hatte eine Operation, wurde von der Polizei vernommen, hielt aber dicht und sollte dann auch von der Schule sanktioniert werden. Doch gleichzeitig wollten weder Schule noch Polizei die ganze Geschichte zum grossen Thema machen. Man fürchtete wohl, dass dies Nachahmer zur Folge haben könnte. Da Fredi die Bez am Ende der dritten Klasse verlassen wollte und schon einen unterschriebenen Lehrvertrag hatte, fehlte er  "krankheitshalber" bis zum Semester- und Schuljahrsende Anfang April 1972."