8. Juli bis 13. August 1972: Sommerferien

Als ich später beim Radio arbeitete, wurden die Sendungen im Sommer immer ausgedünnt, auch die Nachrichten waren kürzer: 'Sommerloch' sagten die einen, 'Sauregurkenzeit' die andern. Weil dann nichts los sei, nichts passiere. Das stimmt natürlich nicht. Es passiert genau gleich viel; es passiert das, was auch sonst immer passiert und worüber man nie berichtet. Das steht dann, eben, in keiner Zeitung, und man findet auch nach fünfzig Jahren nichts darüber, wenn man, wie ich jetzt, alte Zeitungen durchblättert.

Und doch steht einiges im Bezirksanzeiger in dieser Ferienzeit.

Während unserer Sommerferien wird in Weggis am Vierwaldstättersee die Rosenkönigin gewählt.

Sie ist 21 Jahre alt und heisst, wie passend: Gerda Rosner. Am Rigiplatz in Zürich gerät "Durch die Hitze des ersten Tropentages in diesem Sommer" ein Baugerüst aus den Fugen und stürzt auf einen Parkplatz. Weil sie vor 20 Jahren, also 1952, den Velo-Verleih an den Bahnhöfen erfunden haben, veranstalten die SBB eine Velofahrt ins Emmental für die Behörden und die Medien. Jungwacht-Scharleiter Heinz Blatter beklagt sich darüber, dass die Hälfte der Jungwächter nicht an der letzten Papiersammlung teilgenommen habe. Der Bremgarter Bezirksanzeiger bittet um die Überweisung von 14.50 Franken für das Abo während des zweiten Halbjahrs. "Es untersteht keinem Zweifel: Die Schweiz ist aus der in den 60er Jahren gehaltenen Position des Schlusslichts im internationalen Teuerungszug zu den Spitzenreitern der Inflation vorgestossen. Wie ist das gekommen? Ganz einfach: Wir haben uns allesamt gehen lassen." (Inflation im Juli 1972: 6.4 %).

Möbel-Pfister hat einen Tipp für die Ferien parat: ein Tag im "Wohn-Festival". "Machen Sie die Neugestaltung Ihres Heims zum gemeinsamen Ferien-Hobby! Jede Frau hat Wünsche und Ideen, wie sie ihr Heim noch attraktiver gestalten könnte, denn sie weiss: Wer schön wohnt, hat mehr vom Leben!" Aus der Kochecke heisst es, die Ärzte seien sich einig: "Fisch macht schlank". Am Bahnhof Mutschellen treffen sich zwei Stämme der Stufe Pegasos. Es geht ins Pfadilager. Mit dabei haben sie selbst gebastelte Lanzen, Pfeilbogen und Tomahawks. Das Motto des Lagers: Indianer.

Das kantonale Amt für Gewerbepolizei erteilt Frieda Kern-Langenegger die Bewilligung, das Restaurant 'Chalet Hasenberg' zu betreiben. Martha Oggenfuss-Koller aus Berikon stirbt im Spital Muri "nach langer schmerzvoller Leidenszeit" im Alter von 59 Jahren. Sie hatte 10 Geschwister gehabt und brachte selbst 6 Kinder zur Welt. Der 15jährige Rudolf Good aus Pfäfers gewinnt den ersten Preis im Umweltschutzwettbewerb 'Haltet die Schweiz sauber', durchgeführt von der Aktion Saubere Schweiz, und darf dafür 17 Tage nach Bangkok. Martin Jean Joseph Birchen, der verdächtigt wird, in Winterthur eine Service-Angestellte ermordet zu haben, stellt sich der Polizei. 

Die Versicherung 'La Suisse' veröffentlicht unter dem Titel 'Das Bild der Schweizer Jugend' eine über 100-seitige Broschüre zur Einstellung junger Menschen in der Schweiz. In der Schweiz gibt es die "schwersten Unwetter seit Menschengedenken". Berikon ruft alle SchülerInnen des Dorfes auf, gemeinsam Holz für die Erst-August-Feier zu sammeln – es gibt dann für alle "ein Zobig". Die SIG (Schweizerische Industrie-Gesellschaft) stellt ein Projekt für ein vollautomatisches Nahverkehrssystem vor. Pelz Margot verkauft Persianerklauen-Mäntel ab 890 Franken und Nerzmäntel ab 2900 Franken. Im Kino in Bremgarten läuft 'Winnetou und Shatterhand im Tal der Toten'. Das 'Team der Jungen' in Bremgarten bleibt wegen Nachtlärm geschlossen. Am letzten Ferientag feiert meine Grossmutter ihren 73. und letzten Geburtstag; auf einem der Tische stehen ein paar Flaschen Orangina: aus Glas, mit einem Bügelverschluss.

Hitparadenmusikalisch waren die Sommerferien melancholisch-melodiös grundiert: The Cats schlichen mit ihrem 'One Way Wind' durch die oberen Etagen, Christian Anders fuhr mit seinem 'Zug nach Nirgendwo', und über allen thronte in diesen fünf Ferienwochen Neil Diamond: 'Song Sung Blue'.


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