Nicht mehr abschreiben! Die Matrize

Es fällt mir nicht leicht, mir das vorzustellen: ein Leben ohne Fotokopierer! Heute wird derart viel fotokopiert, dass man Angst um die Wälder haben könnte.

Aber es gab es einmal, das Leben ohne Fotokopierer. In unserer Zeit in Bremgarten war es so, das Leben. Was würden heute LehrerInnen tun, wenn man sie fragte: Wie unterrichtest du, wenn du nicht fotokopieren kannst – und natürlich auch all die elektronischen Gadgets nicht hast, die sich im heutigen Unterricht finden? Ich bin sicher: sie würden in eine tiefe Verzweiflung stürzen – und dann die Matrize erfinden!

Schnüffeln an der Schnapsmatrize

Wenn man jemanden fragt, der in jenen fernen Bez-Zeiten dabei war, was der Begriff 'Matrize' auslöse, so erhält man immer die gleiche Antwort: "mmh, das hed immer so guet gschmöckt!" Ein Stück Papier, das viele, wenn sie es vom Lehrer oder der Lehrerin erhielten, zuerst an die Nase führten und daran schnüffelten, ehe sie sich dem Inhalt zuwandten.

Diese Matrize hiess auch 'Schnapsmatrize'. Ohne 'Schnaps' keine bedruckten Blätter, ohne Schnaps kein Schnüffeln.

Die unbeschriebenen Matrizen wurden in flachen Schachteln geliefert, bei Pelikan angeschrieben mit Spirit Carbon Sets.

Jede Matrize bestand aus drei Teilen: Unten ein Blatt, das mit einer Art farbigem Wachs belegt war: die Farbe. Oben ein leeres Blatt, das mit dem unteren fest verbunden war. Und in der Mitte ein ganz feines Papier, das das obere vom unteren Blatt trennte. War dieses Papier entfernt, konnte man auf dem oberen Blatt von Hand schreiben oder zeichnen oder das Ganze in die Schreibmaschine einspannen. Der Druck, den etwa das Anschlagen eines grossen 'A' erzeugte, schlug sich nicht nur in einem grossen 'A' auf dem oberen Blatt nieder; entscheidend war vielmehr, dass der Druck auf dem unteren Blatt dieses 'A' aus der Wachsfarbe herausschlug und das Wachsfarben-A auf der Rückseite des oberen Blattes fixierte.

War das obere Blatt fertig beschrieben, konnte man es vom unteren Blatt trennen. Die Rückseite des oberen Blattes war nun voll mit der Wachsfarbe. Nächster Schritt: die Matrize in den Drucker einspannen – mit der Wachsfarbe nach oben. Hier so ein Drucker:

Diese Drucker besassen einen kleinen Tank, der mit einer Alkoholflüssigkeit gefüllt werden musste: der 'Schnaps'. Bei Pelikan war dies die 'Fluidol-Kopierflüssigkeit'. Die geniale Maschine verteilte über eine Art Filz den Schnaps in kleinen Mengen auf der ganzen A4-Breite, befeuchtete damit die Wachs-farbe bei jeder Umdrehung der Walze ganz leicht, was dazu führte, dass sich kleine Mengen der Farbe lösten und sich auf dem weissen Papier festsetzten, das unter der Walze durchgezogen wurde.

Vervielfältigte Blätter aus dem Matrizendrucker bekamen wir, wenn ich das richtig sehe, erst in der zweiten Klasse. Vorher hatten wir noch alles von Hand in die Hefte zu schreiben. Das erste Schnapsmatrizenblatt, das ich im Geschichtsheft gefunden habe, ist dieses:

Geschichte, Ende 2. Bez (Schnapsmatrize)

Das Nonplusultra war jeweils, Blätter mehrfarbig zu drucken. Dafür musste man nur jeweils ein neues Blatt mit Wachsfarbe einspannen. Farben gab es einige: Violett – die Standard-Farbe –, Schwarz, Grün, Rot und Blau.

Wir haben bei unseren Aktionen 'Pro Bengalen' und 'Jung hilft Alt' in der dritten und vierten Klasse ebenfalls solche Schnaps-Matrizen benützt. Eine habe ich noch gefunden:

Matrizenblatt, vorn
Matrizenblatt, hinten
Gedrucktes Blatt

Schwierig wurde es jeweils dann, wenn man sich beim Schreiben vertippte oder etwas nicht genau so zeichnete, wie man es wollte. Dann musste die fehlerhafte Stelle auf der Rückseite des beschriebenen Blattes mit einem Korrektur-Lack überdeckt werden, oder man schabte die Farbe einfach ab. Damit aber nicht genug! Weil die Farbe an jener Stelle ja bereits vom hinteren Blatt gelöst worden war, musste eine neue, unberührte Farbstelle gesucht werden – oder man behalf sich damit, fürs Ausbessern ein neues Farbblatt zu benützen.

Vielleicht das grösste Problem der Schnapsmatrizen aber war die begrenzte Zahl der Kopien. Weil bei jedem Umschwung der Walze wieder ein wenig Wachsfarbe abgelöst wurde, hatte die Matrize ein natürliches Ende: dann, wenn der Alkohol die letzten Farbreste abgelöst hatte. Konzipiert waren diese Matrizen für 50 bis maximal 200 Kopien. Üblicherweise wurden die Kopien langsam aber sicher schwächer. Und die bedruckten Blätter verblassten am Licht ziemlich schnell.

Schnapsmatrizen laufen auch noch unter den Bezeichnungen 'Hektographie' und 'Fluid Duplicator'. Doch es gab noch einen andern Typ Matrize: die Wachsmatrize.

Die Wachsmatrize

Auch die Wachsmatrize hat noch andere Namen: man findet sie als 'Mimeographie' oder 'Stencil Duplicator'. Die Matrize hatte ein vorderes und ein hinteres Blatt, beide miteinander verbunden. Entscheidend war das vordere Blatt: ein mit einem dünnen Film überzogenes Gewebe. Und dann ging es so: Die beiden Blätter werden in die Schreibmaschine eingespannt. Man nimmt das Farbband der Schreibmaschine weg und putzt die Buchstaben, sodass keinerlei Farb- oder Faserrückstände die Schärfe des Anschlags mildern. Denn genau darauf kommt es an: auf einen klaren, scharfen Anschlag. Der Anschlag durchschlägt das obere Blatt fast ganz und macht es durchlässig für die Tinte, wenn das Blatt dann im Drucker eingespannt ist.

Und hier sind wir schon bei einer der Schwierigkeiten beim Beschreiben dieser Matrizen: Es gilt, das Blatt scharf zu betippen, damit die Tinte dann ihren Weg findet; aber man darf doch nicht allzu scharf tippen, denn sonst schlägt man die Zeichen womöglich ganz aus dem Blatt heraus – etwas, was vor allem beim Buchstaben 'o' und bei der Null immer wieder geschah. Nicht umsonst liefen diese Matrizen bei Pelikan unter dem Namen 'Schablonen'!

Doch in diesem Fall – und auch für den Fall, dass man sich vertippte: auch bei diesem Verfahren half ein Korrektur-Lack. Ein helles, leuchtendes Rot habe ich in Erinnerung. Man streicht den Lack über die fehlerhafte Stelle, lässt ihn trocknen, und schon kann das Blatt neu durchschlagen werden.

Ist man mit Tippen fertig, zieht man die beiden Matrizenblätter aus der Schreibmaschine, trennt das hintere Blatt ab und spannt das vordere auf die Walze des Druckers. Im Innern der Walze ist die Farbe untergebracht. Wenn nun die Walze dreht, dringt die Farbe durch die perforierte Matrize und gelangt auf die Blätter, die beim Rotieren unter der Walze hindurchgezogen werden.

Im Geschichtsheft der zweiten Klasse finden sich auch die ersten Blätter, die von einer Wachsmatrize stammen.

Geschichte, Ende 2. Bez (Wachsmatrize)

Man konnte wohl eine Kunst entwickeln, wie man die Schreibmaschinentasten anschlug, um ein schönes Matrizenbild zu erreichen: regelmässig, gleichmässig, scharf. Das gelang nicht immer:

Der Ausschnitt aus einer damaligen Schülerzeitung. Sie wurden alle ebenfalls mit diesem Verfahren hergestellt.

Schnaps- und Wachsmatrizendrucke lassen sich auch gut erkennen an der unterschiedlichen Papierart: Blätter für die Schnapsmatrize waren glatt, Blätter für die Wachsmatrize faserig.

Einen schönen Einblick in die Kunst des Matrizendrucks gibt, unter anderem, dieses alte Video:

Link zum Video