5. Januar 1973, Freitag: Klecksographie

Wir hätten das Verfahren auch selber neu erfinden können (und vielleicht hat es jemand ja auch getan?): Mit dem Füllfederhalter etwas auf ein Papier kleckern, das Blatt falten, etwas drücken und reiben, damit sich die Tinte ausbreitet, das Papier auseinanderfalten. Und dann dem ziemlich exakt symmetrisch geteilten Klecks zeichnerisch vielleicht noch etwas nachhelfen.

Vor uns hatte das der Psychoanalytiker Hermann Rorschach schon getan und daraus den Rorschach-Test entwickelt, um an tiefere Schichten der Persönlichkeit heranzukommen. Das hat uns Lehrer Daeniker an diesem Freitagmorgen sicher gesagt, uns vielleicht auch eine der Rorschach-Test-Tafeln gezeigt, wie etwa diese hier:

Rorschach-Test: Tafel 1

Doch das Verfahren war schon älter. Vielleicht ist es kein Zufall, dass im 19. Jahrhundert vorwiegend SchriftstellerInnen damit hantierten – sie schrieben ja vorwiegend mit Tinte und kleckerten ganz bestimmt immer wieder. Der deutsche Schriftsteller Justinus Kerner (1786 – 1862) hat sogar ein ganzes Büchlein verfasst mit Klecksographien, denen er passende Verse hinzugefügt hat. Von ihm ist auch das folgende Beispiel:

Klecksographie, Justinus Kerner

Kerner hat, wie man sieht, zeichnerisch noch nachgeholfen. Und dazu lud uns auch Lehrer Daeniker an diesem Freitagmorgen ein: nehmt ein Blatt, spritzt Farbe darauf, und los geht’s!

In meiner Zeichenmappe haben zwei Klecksographien aus der 4b überdauert. Das ist eine davon.