3. Januar 1972, Montag: erster Schultag im neuen Jahr

'1972' ist nicht nur eine schöne Zahl. 1972 veröffentlichte der Club of Rome seinen Bericht Die Grenzen des Wachstums. 1972 landeten letztmals Menschen auf dem Mond und schlossen damit das Kapitel ab, das John F. Kennedy 1961 aufgeschlagen hatte.

Die 50er- und 60er-Jahre: optimistisch, zukunftsfroh, der Mensch kann alles, und die Technik wird ihm helfen.

Heute kann die Gen-Schere Crispr/Cas erfunden werden – und die Menschen wollen sie nicht. Neue Technologien werden mit Moratorien belegt. Wenn etwas nicht 'natürlich' ist, ist es nicht gut. Der Blick in die Zukunft ist düster, die Eltern sind schuld, und früher, viel früher, war alles viel besser.

1972 hat die Welt linksumkehrt gemacht. Doch davon wussten wir an jenem 3. Januar 1972 noch nichts.

Wir hatten gerade die – kurzen – Weihnachtsferien hinter uns. Über die Feiertage konnte man im Kino in Bremgarten Ryans Daughter schauen gehen oder Heintje – Ein Herz geht auf Reisen. Der Landgasthof Grüene Bode in Berikon servierte am Silvesterabend ein "reichhaltiges Festessen" für 20 Franken, darin inbegriffen auch die Unterhaltung mit dem Duo Salm, Tischreservation unter 057 – 5 32 24, mit freundlicher Empfehlung: Familie Willi Karpf-Hauser. Wer zu Hause blieb, sah auf dem Schweizer den HD-Soldat Läppli, bevor dann Punkt Mitternacht die Tanzparty 72 losging.

Samstag war Neujahr. Der neue Bundespräsident, Nello Celio von der FDP, überbrachte der Bevölkerung seine Glückwünsche. "Der Mensch hat nach den Sternen gegriffen, während einer einzigen Generation sind mehr technische Neuerungen erfunden und verwirklicht worden, als vorher während Jahrhunderten." Doch Achtung: "Die übermässige Beanspruchung der natürlichen Lebensgrundlagen und eine durch Unwissenheit, Sorglosigkeit und egoistische Rücksichtslosigkeit verschuldete Verschmutzung und Verseuchung unserer Umwelt gefährden und bedrohen das Leben von Pflanzen, Tieren und Menschen auf der ganzen Erde. (…) Die Fahrt kann nicht stets mit gleich steigender Beschleunigung fortgeführt werden. In einer von Natur aus begrenzten Welt sind dem Wachstum Grenzen gesetzt, die nicht ungestraft überschritten werden dürfen." Die Grenzen des Wachstums.

Über den Jahreswechsel brannten, wie jedes Jahr, da und dort Christbäume, in Zürich ging am Neujahrstag ein 30-jähriger Mann "über mittag völlig nackt am Züricher Limmatquai spazieren" und wurde von der Polizei verhaftet. Das Wetter war neblig gewesen mit Temperaturen zwischen 6 und 8 Grad, Schnee hatte es keinen gegeben, und auch an diesem Montagmorgen, da wir wieder in Bremgarten in unseren Bänken sassen, war das Wetter trostlos: neblig, stark bewölkt, regnerisch, und kein Schnee in Sicht.

So begann dieses Jahr 1972, von dem ich immer wieder denke, es sei ein Wendejahr gewesen.