4. Dezember 1971, Samstag: 'Aktion Pro Bengalen'

Im März war der Krieg ausgebrochen, dieser Krieg zwischen Westpakistan und Ostpakistan, das nach dem Krieg Bangladesch werden sollte. George Harrison, den wir bei Kriegsausbruch mit What Is Life in der Hitparade hörten, hatte auf den Krieg reagiert und zusammen mit Ravi Shankar das Concert for Bangladesh organisiert. Die beiden spielten am ersten August in New York, mit ihnen Eric Clapton, Billy Preston, Bob Dylan und andere. Die Einnahmen aus den Eintrittsbilleten wurden ans Kinderhilfswerk der UNO überwiesen. Und die Musik kam in die Läden.

Link zum Song Bangla Desh

Der Song Bangla Desh erreichte Ende August die Top Ten der Schweizer Hitparade und stieg im September bis auf Platz zwei.

Doch nicht nur in New York wurde für Bangladesh gesammelt: Der 6. November – ein Samstag – war in der Schweiz zum nationalen Sammeltag ausgerufen worden. Der Glückskette flossen insgesamt rund 6 Millionen Franken für die Kinder in Bengalen zu. Und weitere Hilfsaktionen ergaben weitere Millionen. Auch kleinere Beträge kamen zusammen: Am Dienstag, dem 9. November, stand in Bremgarten der Räbeliechtliumzug im Zeichen der Hilfe für Bengalen: die Primarschulklassen zogen durch die Gassen und hielten ihr "Sammeltuch" auf. 451 Franken seien zusammengekommen, hiess es ein paar Tage später.

Bremgarter Bezirksanzeiger, 9. November 1971

Und auch wir wollten etwas beitragen.

Am 11. November hiess es in der Zeitung in einem Artikel, der unterzeichnet war mit "Die Schüler der Bezirksschule Bremgarten": "Ab sofort stehen wir für jedermann zu kleinen und ungefährlichen Arbeiten (Babysitting, Laubrechen, Autowaschen usw.) zur Verfügung." Was an Geld dabei zusammenkomme, solle den ostbengalischen Flüchtlingen zugutekommen. "Höhepunkt und Abschluss" der Aktion bilde dann am 4. Dezember ein "Bazar auf dem Schulhausplatz".

Bremgarter Bezirksanzeiger, 11. November 1971

Zwei Tage vor dem grossen Anlass dann das gesamte Programm in der Zeitung: Kerzen sollten an einem Stand verkauft werden, Kerzen, die wir im Zeichenunterricht selber bemalt hatten; Bücher und Würste, Kaffee und Kuchen und und und. Ausserdem wird darauf hingewiesen, dass "sechzig Bezirksschüler der 3. und 4. Klasse an drei Mittwochnachmittagen ihre Freizeit" geopfert hätten, "um zugunsten der Aktion bei der Baufirma Comolli, Bremgarten, angemessene Arbeiten auszuführen." Comolli habe den Betrag verdoppelt.

Bremgarter Bezirksanzeiger, 2. Dezember 1971

Ich bin ziemlich sicher, dass ich nicht bei Comolli war. Dafür im Soussol des Coop-Centers an der Zürichstrasse, wo die Maschinen der Firma Reuss-Druck liefen. Schlachter hiess der Mann, der uns Anweisungen gab und uns den Platz zuwies, wo wir die Blätter der Aktionszeitung auslegen, zusammenstellen und bostitchen konnten.

Link zur Aktionszeitung

Fünf Seiten hinter dem farbigen Deckblatt. Es beginnt mit George Harrison und seinem "ostpakistanischen Freund Rhani Shakar, der bei ihm an die Haustüre klopft". "Auch an unsere Türe klopft Rhani Shakar, im Namen von neuen Millionen hungernden Menschen." Von Harrison "beeindruckt und beflügelt" und nach vielen Diskussionen hätten wir, "die Schüler und Lehrer der Bezirksschule Bremgarten", beschlossen, ebenfalls zu helfen. So sei die 'Aktion Pro Bengalen' entstanden.

Wenn ich die Aktionszeitung jetzt erneut lese, tönt vieles zeitlos: "Das Elend in den indischen Flüchtlingslagern kennt keine Grenzen. Die Menschen leben trotz des herannahenden Winters (die Temperatur fällt bis zur Nullgradgrenze) in notdürftig zusammengeflickten Zelten und Zementröhren. Es mangelt an Nahrungsmitteln und Kleidern. Es drohen Seuchen und Krankheiten auszubrechen."

"Milchpulver statt Schiesspulver" ist ein Abschnitt überschrieben. Ein Abriss über die Ursachen und den Verlauf des Krieges. "Dass der Konflikt eine solch tragische Wendung genommen hat und möglicherweise eine Auseinandersetzung zwischen Pakistan und Indien mit unübersehbaren Folgen nach sich ziehen wird, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass andere Staaten, auch westliche, durch den Verkauf von Waffen die verworrene Lage ausnützten." – "Wir Jungen sind überzeugt, dass Konflikte mit Milchpulver, niemals aber mit Schiesspulver gelöst werden können." Und solange die Hilfsorganisationen Spenden dorthin bringen könnten, "wo das grösste Elend herrscht", solange "werden wir unser Gewissen nicht mit irgendwelchen Ausreden beschwichtigen können."

Dann zwei Seiten mit dem ganzen Programm, ab 9 Uhr 30 auf dem Schulhausplatz. Und schliesslich die Idee, "das diesjährige Weihnachtsfest in einem bescheideneren Rahmen zu feiern, um auf diese Weise untere Anteilnahme für das Elend in Ostpakistan zu bekunden."

Wer hatte die Idee zu dieser 'Aktion'? Wer hat die Ideen gesammelt? Wer mit Comolli telefoniert und die Verdoppelung des Erlöses durch die Firma verhandelt? Wer hat die Texte für die Zeitung geschrieben? Wer hat die Stände organisiert, die Kerzen verkauft und den Kaffee ausgeschenkt? Wer hat die Kasse geführt beim Bücherstand und die Filme eingespannt im Musiksaal? Wer hat am Abend an den verschiedenen Orten aufgeräumt, als es draussen schon dunkel geworden war?

Wie gesagt: Am Schluss steht nur "Schüler und Lehrer der Bezirksschule Bremgarten". Nur einer ist namentlich in der Zeitung aufgeführt: Markus Alder aus der 4a, der als "Gantführer" um 15 Uhr auf dem Schulhausplatz eine Versteigerung (was wurde versteigert?) leiten sollte. Aber es waren zweifellos Duzende, die sich engagiert haben auf der imaginären Achse Bremgarten – Bangladesch, die ihr Leben als Jugendliche für eine Weile verbunden haben mit den Ereignissen in der grossen weiten Welt. Lehrer Caduff – und sicher auch andere – sahen das mit Wohlwollen und ermutigten uns dabei. Wenn ich das Wort 'Engagement' mit Personen aus meiner Geschichte in Beziehung bringen wollte: er nähme einen prominenten Platz ein.

Am 16. Dezember 71 ging der Krieg in Ostpakistan zu Ende.

Vorarbeiten zur Aktionszeitung