Heftli!

Ein Buch lesen ist schön und gut und bildet – alles wunderbar. Aber Bücher sind lang und oft schwierig und fast immer nicht genau das, wofür man sich gerade brennend interessiert. Heute sucht man das im Internet. Damals fand man es in den Zeitschriften für Jugendliche. Die meisten sagten denen einfach 'Heftli'.

SJW

SJW-Heft Nr. 1127, 1971

Ein Heft, mit dem die meisten wohl schon in der Primarschule in Kontakt gekommen waren. Die Stiftung 'Schweizerisches Jugendschriftwerk' veröffentlicht nach eigenem Bekunden "seit 1932 Kinder- und Jugendmedien von hoher Qualität zu günstigen Preisen." Ziel sei es, "mit spannenden, aufrüttelnden, anregenden und bewegenden Geschichten und interessanten Sachheften für alle Schulstufen unvergessliche Lektüreerlebnisse" zu bieten.

Das Heft 'Der verwegene Reiter' war Heft Nummer 1127, es wurde 1971 veröffentlicht. Dieser Tage, Ende April 2021, 50 Jahre später, wird es auf der Plattform Ricardo.ch zum Kauf angeboten, Minimalpreis 3 Franken. Ob sich dafür jemand interessieren wird?

Hat es uns damals, in der dritten Bez, interessiert? Vermutlich nicht mehr so sehr. Andere Heftli waren begehrter. Eines davon war die

Schweizer Jugend

Kleber der Zeitschrift Schweizer Jugend

Ich vermute mal: die 'Schweizer Jugend' war der Favorit der Lehrer und unserer Eltern als Nachfolgemodell zu den SJW-Heften. Die NZZ schrieb 2002 einmal: "Generationen von Jugendlichen kamen durch sie zum ersten Mal in Kontakt mit einem Abonnement. Für Gotten, Göttis und Grosseltern war sie lange Zeit das ideale Weihnachtsgeschenk."

Wie die SJW-Hefte hatte auch diese traditionelle Zeitschrift eine lange Vergangenheit, erschien seit den 1920er-Jahren. Die NZZ bezeichnete sie als eine "sorgfältig gemachte, anspruchsvolle Jugendzeitschrift (…), die von Lehrern gerne zu Unterrichtszwecken eingesetzt wurde." Mit vielen Geschichten und Unterhaltendem aus dem Alltag von Jugendlichen, aber auch mit Informationen aus der aufkommenden Pop-Welt. Davon zeugen die 'Poster', die ich eine Weile aus der Heftmitte herausnahm und in meinem Zimmer an die Wand pinnte. Denn auch meine Mutter gehörte zu jenen, die fand, ein solches Abonnement sei eine gute Sache. Erst im Herbst 73 kündigte sie das Abo und wies dabei darauf hin, dass mein Bruder und ich aus dem Alter herausgewachsen seien, in dem wir das Heft mit Interesse gelesen hätten.

Schweizer Jugend, März 1977

Die 'Schweizer Jugend' ist nach einigen turbulenten Jahren um die Jahrtausendwende untergegangen und 2003 als '4-teens – das Schweizer Jugend Magazin' wieder auferstanden.

Pop

Wie die 'Schweizer Jugend' hatte auch die Zeitschrift Pop Schweizer Wurzeln: Jürg Marquard, unser 'Mister Pop' aus der Hitparade, hatte sich nach der Matur 1965 Geld geliehen, die Zeitschrift gegründet und damit "den Grundstein für seine Verleger- und Unternehmerkarriere" gelegt, wie es im Wikipedia-Eintrag über ihn heisst. Das Schweizer Fernsehen SRF hat 2019 einen Dokumentarfilm (Siehe ab ca. Minute 17:40) ausgestrahlt zu drei Personen, die alle am 13. Juli 1945 geboren wurden und ein sehr unterschiedliches Leben lebten, darunter auch Marquard.

Im Mai 1971 porträtierte die Nummer 5 die Rolling Stones und warb auf der Front mit einem "Super-Poster" von Mick Jagger und Keith Richard – kein Druckfehler: Der Stones-Mann Richards nannte sich in den Anfängen zeitweise offenbar auch Richard.

Pop, Nr. 5 vom Mai 1971

Wer sich die alten Pop-Ausgaben anschauen will: sie können alle – seit der ersten Nummer von 1965! – im Internet heruntergeladen werden!

Bravo

Eine Art grosse, ältere, deutsche Schwester von Pop war Bravo. Seit 1956 war sie im Handel, 1966 überschritt die Auflage die Millionen-Grenze. Der Höhepunkt war – immer nach Wikipedia – 1991: 1.58 Millionen. Dann aber ging's bergab. Zuerst gab's eine Ausgabe pro Woche, dann zwei pro Monat, dann noch eine. Heute werden gerade noch – 1. Quartal 2021 – 85'000 Exemplare einer Ausgabe verkauft.

Damals aber: für viele der Hammer. Da konnte man über die 'Schweizer Jugend' nur müde lächeln. Schon nur 'Dr. Sommer'! Der beantwortete seit Ende 1969 all die Fragen, die man sonst nirgends stellen konnte. Wöchentlich sollen zwischen 3000 und 5000 Briefe mit Fragen zu Pubertät und Sexualität bei Bravo bzw. Dr. Sommer und seinem Team eingegangen sein.

Bravo, Nr. 21 vom 17. Mai 1971

Attraktiv – nicht zuletzt natürlich für Bravo selbst: die 'Star-Schnitte'. Puzzle-Teile zu einer Sängerin, einem Sänger, einer Band, einem sonstigen Star, die über verschiedene Hefte verteilt waren. Ausschneiden, zusammenkleben, und dann irgendwohin pinnen, riesengross. Vier oder fünf gab's pro Jahr. 1971 waren das Mick Jagger, Creedence Clearwater Revival, Ron Ely – ein US-Schauspieler, der damals in der Rolle des Tarzan brillierte – und Chris Roberts.

Chris Roberts als Bravo-Starschnitt, 1971

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(veröffentlicht zum Mai 1971 am 17. Mai 2021)