Der schöne Plattenspieler

Vor vielen Jahren hing bei uns am Anschlagbrett in der Firma einmal eine kleine Annonce: eine Polaroid-Foto, die vor dunkelrotem Grund nur eines zeigte: einen Thorens-Plattenspieler aus den frühen Siebzigerjahren. Mit einem Abspielkopf aus quadratisch durchlöchertem Metall. Günstig zu verkaufen: 150 Franken. Sich melden bei … Das sah vielleicht etwa so aus:

Ich blieb einen Moment lang vor der Anzeige stehen und schrieb dann an A.: Versetzt in die frühen Siebzigerjahre, zu euch nach Hause, wo auch so ein Plattenspieler stand, Inbegriff des Schönen. Schön nicht nur der Form wegen, sondern, vor allem, weil er bei euch stand, bei Dir; Musik abspielen konnte, die Du hörtest, die ich hörte. Ein Plattenspieler mit einem quadratisch durchlöcherten Metallkopf, den ich in Gedanken mir wünschte – nicht um ihn zu besitzen, sondern weil ich dann gewusst hätte, ein gleicher steht bei euch, bei Dir. Ein Plattenspieler, der ohne Dich nichts gewesen wäre als ein Plattenspieler, der sich nun aber durch all die Jahre als Erinnerung eingegraben hat in meinem Kopf, auf Abruf da war, ohne dass ich davon wusste, auf Abruf eine Schleuse öffnete, Schleuse unglücklich-glücklicher Gefühle, wohlig genossenen Schmerzes, immer wieder verworfener, immer wieder geweckter Hoffnungen; einen Bilderbogen ausbreitete – euer Haus im Winter, der Aufgang zum Wohnzimmer, zu Deinem Zimmer, unten das Zimmer, in dem ich mal geschlafen habe, bis Du mich geweckt hast, obwohl ich schon lange wach lag…

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Veröffentlicht: 6. März 2023