Vom Namen zur Unterschrift

Wir lernen in der Schule zu schreiben. Wir lernten dort, schön zu schreiben. Wir haben gelernt, unseren Namen zu schreiben und ihn auch schön zu schreiben. In der Schule aber nicht gelernt habe ich, wie ich unterschreiben soll.

Die Unterschrift. Sie gehörte in keiner Stufe meiner Schulzeit zum Schulstoff. Ok, man kann ja sagen: Das Unterschreiben gehört zu den allgemeineren Tätigkeiten im Leben, findet meist ausserhalb der Schule statt und ist dermassen persönlich, dass sich der junge Mensch die eigene Unterschrift auch selber beibringen soll. Und das machen dann ja auch alle so und experimentieren und entwerfen und verwerfen, gerade in dieser Jugendzeit.

In die Bez kommt man – in der Regel – als Kind und verlässt sie als schon ziemlich ausgereifte Person. Am Anfang kann man schreiben, am Ende unterschreiben. Die Unterschrift ist der Person gewordene Name – sozusagen.

Die vier Jahre der Reifung in der Bez haben auch unsere Unterschriften reifen lassen.

Eintrag im Französisch-Buch

Unterschreiben und Unterschriften hatten in der Bez einen eigenartigen Stellenwert. Zwei Aspekte dabei: das Üben und das Sammeln.

Das Üben: Auf Sudelblättern, Fliessblättern, in Heften: über die Jahre immer wieder Versuche, die Buchstaben des Namens in eine Form zu bringen, die als 'Unterschrift' taugen könnte.

Ein ganzes Fliessblatt

Auf dem Fliessblatt taucht neben unseren Schüler-Unterschriften auch der Schriftzug 'P. Bundi' auf. Der Schriftzug ist der Unterschrift des Lehrers durchaus ähnlich – und doch nicht die Seine. Ein Hinweis darauf, dass wir auch fremde Unterschriften übten. Auf einem Sudelblatt ist auch die 'Unterschrift' von Rektor Knecht zu finden:

Ich kann mich nicht erinnern, in der Bez je Unterschriften gefälscht zu haben. Aber der Entwicklung der Feinmotorik nützte natürlich nicht nur das Übern der eigenen Unterschrift, sondern auch dasjenige einer fremden.

Das Sammeln: Ich brauche nicht einmal die Augen zu schliessen, um mir jemanden vorzustellen oder an jemanden zu denken. Der Kopf dient auch dazu, andere Leute dort zu speichern. Die Repräsentation einer Person materialisiert sich aber, wenn ich eine Fotografie von ihr habe, ein Schriftstück, oder eben, sozusagen als schriftliches Kondensat der Persönlichkeit, ihre Unterschrift. Das hat manche von uns damals bewogen, Unterschriften zu sammeln. So beschäftigte ich mich eine Weile – vom Anfang der Bez bis im Herbst 1970 – damit, anderen ihre abgelaufenen BDB-Abonnemente abzuluchsen – mit Unterschrift natürlich. Eine besondere Trophäe war dabei das Abo von Fräulein Debrunner, unserer späteren Englisch-Lehrerin, im hellen Grün der ersten Klasse. Klasse übrigens noch mit C geschrieben: Classe.

  

Teilweise nahm das Sammeln von Unterschriften fast epidemische Züge an. Ich erinnere mich, dass ein Mädchen aus einer unteren Klasse den Übernamen 'die Autogramm-Jägerin' hatte.

Aber ich war ja nicht anders. Zwei mehr oder weniger vollständige Sammlungen von Unterschriften aus unserer Klasse haben sich erhalten: eine auf der Rückseite des Staenz-Vocabulaire, und eine in der Innenseite des Singbuches 'Jungsang'.

Jungsang   
Vocabulaire

 

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Veröffentlicht: 16.1.2021

Nachtrag:

Doris hat mir neulich geschrieben, sie habe aus der Schulzeit fast nichts aufbewahrt – "ausser den jungsang. der war mir wohl sehr lieb, dass ich gleich die ganze klasse samt lehrern darin unterschreiben liess. die band unterschriften auf der andern seite sind nicht original 😄 und englisch hatte ich noch nicht – let id be!"