Spielen im Turnen

Die Turnstunden waren anstrengend. Häufig 'Geräteturnen', wenn ich mich recht erinnere. Noch am erträglichsten waren dabei die Übungen an den Ringen: hin und her schwingen, immer höher, und zwischendurch ein kleines Kunststück einbauen. Das ging noch, auch wenn das Gefühl manchmal kriblig war: die Höhe, die Gefahr, von den Ringen zu fliegen… Aber die Übungen am Barren oder am Pauschenpferd?!

Bilder: Internet

Das Einzige, was mir jeweils half, war die Aussicht darauf, im letzten Teil der Stunde noch zu spielen!

Was mir da als Erstes in den Sinn kommt: ein Spiel, dessen Namen ich zuerst wieder finden musste: vier der schweren grauen Matten ausgelegt in den vier Ecken der Turnhalle. Zwei Mannschaften: die einen waren in der Halle verteilt, die anderen bei der ersten Matte. Dann ging's los: jemand auf der ersten Matte wirft den Ball ins Feld, möglichst so, dass die anderen ihn nicht fangen können. Und dann rennt er los, Richtung nächste Matte. Je länger die andern brauchen, um den Ball an einem bestimmten Punkt in der Halle auf den Boden zu bringen, desto länger kann er rennen. Von Matte zu Matte, von einer rettenden Insel zur andern. Es galt, nicht nur schnell zu sein, sondern nebenbei immer noch die Entwicklung im Feld zu beobachten. Denn war man zwischen den Matten, wenn der Ball am Zielpunkt den Boden touchierte – oder nicht mindestens in der Luft im Anflug auf die Matte –, war man draussen. Eine ganze Runde auf einmal war natürlich super – aber auch hoch riskant. Schnelligkeit und Köpfchen also. Bei denen im Feld waren dagegen vor allem Fangen und präzises Werfen gefragt. Brennball hiess das Spiel, oder balle brûlée.

Zwischendurch, nur schnell: Turnen. In der Turnhalle. Augen zu – – – riechst du etwas?

Ein anderes Spiel hiess – in der Kurzform – Völk. Die Abkürzung für Völkerball. Das Spiel ist die vergangenen Jahre immer wieder mal in die Schlagzeilen geraten, letztmals wohl Mitte 2019: Da meinte eine Gruppe von kanadischen ForscherInnen, Völkerball komme einer legalen Form von Mobbing gleich. Das Spiel lehre einen nur, dass es ok sei, andere als menschliche Zielscheiben zu nehmen. Dies passt auch einigermassen zu den Wurzeln des Spiels – wenn denn stimmt, was man liest: ein Spiel zur Einübung des Krieges sei es gewesen, bei dem die beiden Parteien zwei Völker darstellten, die darauf aus seien, den Gegner vollständig zu vernichten.

Wie vertrackt die Einstellungen zum Spiel sein können, mag folgende Aussage in einem Artikel über die kanadischen ForscherInnen zeigen: "Stephen Berg, education professor at UBC Okanagan, said he grew up loving dodgeball — a game his teachers called "murder ball" — but he changed his tune when he became an educator."

Es ist sicher so, auch wenn Völkerball nach wie vor in den Turnhallen gespielt wird: nicht alle werden davon begeistert sein. Wie auch nicht alle von Mathematik oder Französisch begeistert sind. Ich selber fand es toll. Und hätte auch keine Freude gehabt, wenn der Lehrer das Spiel abgebrochen hätte, wenn eine Mannschaft auf drei Spieler geschrumpft war – um es 'humaner' zu gestalten, wie da und dort vorgeschlagen wird. Genau dann war die Dramatik ja auf dem Höhepunkt. Und sogar der Letzte konnte das Spiel noch drehen, wenn es ihm gelang, den Ball zu fangen. Ein wahrer Held!

Weniger umstritten: Bänkli-Tschute. Das Tor: ein umgelegter Langbank. Die kleine Tor-Fläche verhinderte schon mal, dass wie wild durch die Halle geschossen wurde. Und wenn man es noch ruhiger haben wollte, gab's noch die Möglichkeit, das Bänkli-Tschute im Sitzen zu spielen….

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25. Mai 2021 / Zum Turnen im Mai 1971