Der Fez auf dem Mond

Alte Bremgartenstrasse in Berikon, Mai 2022. Beim Haus Nummer 20 sind Bauprofile ausgesteckt.

Das alte Haus wird verschwinden.

Eine Schätzung der Liegenschaft hat ergeben: Das Haus ist gerade noch Null Franken wert. Aber das Land ist teuer. Das grosse Haus hat keinen Wert mehr. Das Material ist abgeschrieben, und für die Geschichte des Hauses war die Bank nicht zuständig. Sie schätzt keine immateriellen Werte.

In dem Haus hat Denise ihre Bezirksschulzeit verbracht, von hier ist sie morgens jeweils nach Bremgarten aufgebrochen, und hierher ist sie nach der Schule zurückgekehrt. Wohnte hier mit ihren Eltern und den Geschwistern.

Statt des grossen Einfamilienhauses mit Garten entstehen auf dem Grundstück ein neues Einfamilienhaus und ein Mehrfamilienhaus mit 5 Eigentumswohnungen. Das alte Haus zu übernehmen wäre für einen Käufer – wegen des hohen Landpreises – kaum bezahlbar. Wenn mehr Leute auf dem Land wohnen, wird es günstiger. So entstehen neue Häuser und verdichtetes Wohnen.

Seltsam: das Haus ist noch da, Jahrzehnte wurde es bewohnt, man könnte auch jetzt noch darin wohnen, aber eigentlich ist es nun eine Ruine. Das Leben des Hauses ist erloschen. Man kann es anschauen und sich vorstellen, welche Geschichten sich darin abgespielt haben.

Neulich hatte ich Denise am Draht. Sie erzählte vom Partyraum im Keller des Hauses.

Ein Künstler, der im Party-Keller eine Mondlandschaft an die Wand malt? Sag mal: steht euer Haus noch oder ist es bereits abgerissen? Sie wisse es nicht, meint Denise, das letzte Mal, als sie dort war, stand es noch. Und wie heisst die Firma, die die Überbauung realisiert?

Ein paar Tage später steh ich vor dem Haus an der Alten Bremgartenstrasse 20. Der Garten überwuchert, die Steinplatten sind gesprungen oder fehlen, eine Lampe hängt an ihren Drähten – das Haus steht schon eine ganze Weile leer. Am Briefkasten aber immer noch: Ch. + R. Groth-Bischof.

Die Chefin der Immobilien-Firma schliesst das Haus auf, geht mir voraus, die steile Treppe hinunter in den Raum, wo die jungen Groths mit ihren Freundinnen und Freunden gefeiert haben. Und da ist sie, tatsächlich, die Mondlandschaft.

Der alte Fez-Keller bei Familie Groth

Tanzen auf dem Mond!

Aber nicht nur tanzen.

Die Musik war wichtig, logisch. Aber man konnte und wollte ja nicht nur immer tanzen. Und für solche Situationen gab es auch ein gewaltiges Sofa auf dem Mond.

Und was meinten eigentlich die Eltern Groth, wenn im Keller wieder mal ein Fez stieg? Eigentlich war es ihnen so ganz recht.

Während der Bez gab es diese Tradition bei Groths bis zuletzt. Noch am letzten Tag, am 6. April 1973, nach der Zensurfeier, gab es bei Groths einen Fez im Mondkeller. Es läuft Samba Pa Ti, auf dem dunkelblauen Sofa mit den Löwenpranken küssen sich zwei, und draussen im Garten stehen einige Gestalten beieinander und rauchen.

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Veröffentlicht: 6. April 2023