28. Februar 1970, Samstag: Der zwölfte Aufsatz

Am letzten Tag im Februar schreiben wir unsern zwölften und letzten Aufsatz in der 1b.

Anhand der Tage, an denen wir im Deutsch Aufsätze schrieben, kann man einen Teil unseres damaligen Stundenplanes rekonstruieren: Im ersten Halbjahr haben wir immer am Dienstag Aufsätze geschrieben, sieben Mal; im zweiten Halbjahr dann jeweils am Samstagmorgen, fünf Mal. Das waren jeweils Doppelstunden.

Es gibt klassische Dinge in der Schule, und zu diesen gehörte damals sicher die Disziplin 'Aufsatz'. Was machte denn den Aufsatz so wichtig, dass wir so viele schreiben mussten?

Eine kurze Suche im Internet führt mich zu einem Papier – man könnte dem sicher auch 'wissenschaftlicher Aufsatz' sagen –, das die Ziele, Inhalte und Methoden des Schreibunterrichts in der Schweiz von 1830 bis 1960 nachzeichnet. Gemäss den beiden Autorinnen verfolgte der Aufsatz 1960, also kurz vor 'unserer' Zeit in der Bez, vor allem zwei Ziele:

a) Sprachlich korrekte Darstellung von Sachverhalten: Das war auch als Vorbereitung auf die sprachlichen Anforderungen des späteren Lebens gedacht, weil dort eine sachliche 'Zwecksprache' notwendig sei. In einer Ausgabe der Schweizerischen Lehrerzeitung von 1956 hiess es dazu, die SchülerInnen sollten "…scharf denken, das treffende Wort wählen, richtige Sätze bauen und eine klare Ordnung haben. Klare Gedanken klar wiedergeben; genaue Erinnerungen genau wiedergeben; das ist alles, was das praktische Leben verlangt. Dazu braucht es keine kunstvolle Sprache. Die schlichte, schmucklose Alltagssprache genügt."

b) Förderung des subjektiven Ausdrucks: Da ging es mehr darum, der Phantasie, der sinnlichen Wahrnehmung sprachlich Raum zu geben. Die Texte sollten authentische Erfahrungen und Empfindungen wiedergeben und damit auch Ausdruck der Identität sein, die sich da in jungen Jahren entfaltete.

Was setzte uns Lehrer Caduff denn in der ersten Bez als Themen vor? Lassen sich die beiden erwähnten Zielsetzungen des Aufsatzunterrichts da herauslesen? Hier die Themen in meinem Aufsatzheft (möglicherweise konnte man schon in der ersten Bez aus mehreren Themen auswählen?). Dazu das Datum, an dem wir geschrieben haben, und ein oder zwei Sätze aus diesen Aufsätzen.

Aufsatz Nummer 1, 29. April 1969: 'Der Frühling ist da'

"Ich stehe auf und ziehe den Laden hinauf. Draussen strahlt die Sonne in aller Pracht."

Aufsatz Nummer 2, 13. Mai 1969: 'Mein erstes selbstverdientes Geld'

"Meine Mutter kam mir freundlich entgegen und drückte mir geheimnisvoll etwas in die Hand. Ich sprang in die Luft, als ich sah, dass es ein Einfränkler war."

Aufsatz Nummer 3, 27. Mai 196: 'Der Schlaue Ratgeber' (Nacherzählung)

"Da antwortete der Mann: Komm die nächste Nacht wieder und bringe: ein langes Seil, eine lange, starke Schnur, einen langen Seidenfaden, ein Bisschen Honig und einen Käfer."

Aufsatz Nummer 4, 10. Juni 1969: 'Er hat mich verraten'

"Du rauchst ja, hat dir der Vater denn nicht verboten zu rauchen? Das werde ich ihm erzählen!"

Aufsatz Nummer 5, 24. Juni 1969: 'Der Windstoss' (Bildbetrachtung, Camille Corot) [hier der Link zum 24. Juni 1969]

"Auf einem steinigen Fussweg, der zu dem naheliegenden Dorf führt, läuft eine alte Frau, die gegen den Wind kämpft."

Bildchen, ins Heft geklebt

Aufsatz Nummer 6, 19. August 1969: 'Als ich eine schlechte Note nach Hause brachte'

"Als ich zu Hause ankam, schlich ich leise in mein Zimmer, um die Verbesserungen schnell zu machen."

Aufsatz Nummer 7, 2. September 1969: 'Brücke von Moret' (Bildbetrachtung, Alfred Sisley)

"Der Rand des Flusses ist sumpfig und gleich ein paar Meter weiter hinten stehen schon die ersten Häuser."

Aufsatz Nummer 8, 8. November 1969: 'Ein Erlebnis im Nebel' [Link zum 22. Oktober 1969]

"Ich übergab Werner eben eine Zeitung, die ich unter der Bank gefunden hatte, als ich einen heftigen Ruck spürte."

[Link zur BDB-Geschichte]

Aufsatz Nummer 9, 29. November 1969: 'Der alte Mann und sein Enkel' (Nacherzählung)

"Als nun der Vater fragte, was das geben würde, antwortete der Enkel: 'Das soll ein Tröglein werden, aus dem meine Eltern einmal essen werden, wenn ich gross bin.'"

Aufsatz Nummer 10: ??? (fehlt)

Aufsatz Nummer 11, 14. Februar 1970: 'Das fliegende Pferd' (Bildbetrachtung, Marc Chagall)

"Es brennt kein Licht mehr in dem stillen Dörflein. Nur aus dem Kamin eines alten Hauses steigt grauer Rauch empor. Es ist das Elternhaus."

Aufsatz Nummer 12, 28. Februar 1970: 'Ein Geheimnis ausgeplaudert'

"Am nächsten Mittwoch, als wir uns schon auf die Reise machen wollten, kam noch der letzte unserer Gruppe. Wir fragten ihn, wo er noch lange gewesen war, aber er wollte nicht antworten."

 

Literatur: