27. Juli 1971, Dienstag: Die Geschichte einer Postkarte

Beat Zeier aus Bremgarten sammelt Postkarten aus dem Freiamt. Seit Langem. Und er hat viele davon. Viele aus alten und neueren Zeiten, schwarz-weiss, koloriert, farbig.

Am 16. Juni 2016 bringt die Aargauer Zeitung auf Seite 29 den 5. Teil einer Serie 'Freiämter Postkarten-Grüsse aus dem vergangenen Jahrhundert'. Die Postkarten hat allesamt Beat Zeier der Zeitung zur Verfügung gestellt.

Unser Bez-Kollege Urs Humbel liest die Zeitung, sieht sich die 7 Postkarten auf der Seite an und überfliegt die kurzen Texte zu den Karten. Bei einer steht: "Aus dem 'sonnigen Ferienort Rudolfstetten' schickte 'Tom' im Juni 1971 viele Grüsse an eine Adressatin in Bremgarten." Hömi denkt sich: Rudolfstetten? Tom? Fotografiert die Seite und schickt sie mir.

Aargauer Zeitung, 8. Juni 2016

Im April 2020 ist weltweit, in der Schweiz, in Bremgarten Coronazeit. Lebensmittel kann man noch kaufen und in die Apotheke gehen ebenfalls, wenn auch nur tröpfchenweise. Aber seit dem 27. April haben auch die Blumenläden und die Coiffeure und andere wieder offen. Und da ich an diesem Tag sowieso nach Bremgarten wollte, habe ich Beat Zeier ausfindig gemacht, ihm telefoniert und mit ihm abgemacht, am Bahnhof.

Etwas trinken gehen kann man wegen Corona nicht, also unterhalten wir uns halt stehend draussen vor dem Bahnhofkiosk, zum Glück scheint die Sonne. Beat Zeier hat die Postkarte mitgebracht, deren Vorderseite in der Zeitung abgedruckt war. Und ein schneller Blick auf die Schrift und die Adressatin genügt: Die Karte war tatsächlich von mir. An Susanne. Feriengrüsse, abgestempelt am 27. Juli 1971.

Die Vorderseite zeigt Rudolfstetten von der Rindliweid aus:

Wie er denn zu dieser Karte gekommen sei, frage ich Herrn Zeier. Ja, wie so oft, meint er: auf einem seiner Streifzüge auf der Suche nach Karten-Sujets, die er noch nicht habe, sei er eben auch auf diese Karte gestossen. Und nein, verkaufen möchte er sie mir nicht, denn das würde ein Loch in seine Sammlung reissen. Aber er sei einverstanden, sie mir mitzugeben, damit ich sie kopieren könne – er vertraut offenbar darauf, dass ich sie ihm zurückschicke.

Eine Karte geht auf Reisen: Ich schicke die Karte, Sue freut sich (hoffentlich), legt sie beiseite, gibt sie weg, als sie einmal aufräumt, die Karte landet in einer Schachtel, kommt auf einen Tisch an einem Stand mit zig andern Karten, Beat Zeier läuft am Stand vorbei, schnöiggt durch die Schachtel, findet 'Rudolfstetten AG' schwarz-weiss aus den 60er-Jahren, prüft vor seinem inneren Auge schnell seine Sammlung, kauft die Karte, sortiert sie ein, geht Jahre später mit jemandem von der Aargauer Zeitung seine Alben durch, die beiden wählen aus, die Ansichtskarte wird mit andern zusammen abgedruckt, Hömi sieht das in der Zeitung und meint, das könnte doch durchaus ich gewesen sein…