3. März 1973, Samstag (und Sonntag): Im Hölloch

"Zwei volle Reisetaschen hatte ich parat. Wir mussten noch in die Schule am Morgen." – So steht es im Tagebuch. In den Taschen unter anderem: Fotoapparat, 2 Sackmesser, Esswaren (u.a. Coramin-Traubenzucker) und zu trinken, Bergschuhe, Überggwändli, Pullover, lange Unterhosen, Windjacke, Helm mit draufmontierter Lampe, Handschuhe, Ersatzkleider, Handtuch, Pflaster, Verband, Seife, zwei Gürteltaschen.

Vermutlich hatte uns Lehrer Daeniker, der Expeditionsleiter, alles schön aufgegeben.

Gegen 15 Uhr: alle versammelt in Bremgarten. Unter anderen dabei: Markus Bircher, Felix Stutz, Edgar Liechti, Ewald Koller, André Sigel, Jürg Germann, Ralph Bush, Dani Stoll, Alfred Sigg, Röbi Müller, Peter Eisenegger, Mathias Baumgartner, Bruno Meier, Noelle Gfeller, Sigrid Unseld, Doris Kneubühler, Anita Mendler, Denise Groth, Ferdi Staub, Urs Buri, Peter Meier. Und eben: Harro Daeniker "mit seinem 20 Jahre alten Hut". Als Begleitung kommt Röbis Vater mit. Abfahrt mit dem Car.

"In Schwyz kehrten wir schnell ein, Herr Müller spendierte eine Runde. Beim Restaurant 'Hölloch' angekommen hatten wir noch mehr als eine Stunde Zeit zu machen, was wir wollten. Wir tobten uns aus in einer schönen Schneeballschlacht, bevor wir zum Nachtessen übergingen. Wir hatten Schnitzel und Pommes-frittes, soviel wir wollten."

Ein Einheimischer hält uns einen Vortrag über das Höhlensystem im Hölloch – ziemlich ausführlich, denn anschliessend "mussten wir uns beim Umziehen noch beeilen, um rechtzeitig zu kommen."

"Um halb acht machten wir uns auf den Weg. Etwa 500 Meter mussten wir den Berg hinauflaufen, auch über 40 cm breite Brücklein, die kein Geländer hatten und sich über teilweise 5 Meter hohe Gräben zogen. Wir stellten uns schon vor, wie wir völlig erschöpft wieder darüberkraxeln würden. Dann plötzlich standen wir vor dem Eingang zur Höhle. Er war gerade mit einer dicken Schicht Eis bedeckt und wir hatten unsere Mühe, ohne umzugheien darüberzukommen."

Schon bald einmal: Fotoapparat ausprobieren. Und klar: wenn es ernst gilt, versagt die Technik. Irgendetwas funktioniert nicht – sinnloses Abdrücken ein paar Mal. Zum Glück ist Alfi da. Geschickt wie immer. "Eine Klappe war nicht ganz zu gewesen." Meine Hoffnung, dass dann von den 20 Bilder auf dem Film einige doch noch gut herauskommen würden, erfüllte sich nicht.

Und nochmals:

Und dann doch noch: ein einziges Bild, auf dem man etwas erkennt:

Wenn ich mich nicht täusche, ist das / war das Matthias Baumgartner.

"Schon im ausgebauten Teil kamen wir ins Schwitzen, die meisten zogen einen ihrer vielen Pullovers aus."

Dann folgen im Tagebuch zwei leere Seiten – sicherer Hinweis darauf, dass ich noch mehr schreiben wollte. Hinten, eingelegt: Ein loser Zettel:

Unser 'Fahrplan' im Hölloch!

ca. 1930
2005
2030
2120
2205
2230
2315
0100
0230
0250
0330
0400
0500
0600
0700
0900
Aufstieg zur Höhle
Ende ausgebauter Teil
Böse Wand (40 – 50 Meter)
Aquarium
See + Leiter
Riesensaal
Wasserdom – Pause (1 – 1.5 Std)
Domgang – Regenhalle – Schlange
Ab Sandhalle [?] Rückweg
Aquarium
Alligatorengang
Böse Wand (abseilen)
Ausgang
Frühstück
Rückfahrt
ca. Bremgarten

Die 'Ortsnamen' findet man auch, wenn man im Internet nach Karten des Höllochs sucht. Und demnach könnte unser Ausflug ungefähr so ausgesehen haben:

Bild: SAC. Ergänzungen: tk

Wer erinnert sich noch an diese Nacht?

Alfi:
"Ja, das war eine tolle Nacht. Unsere Vorbereitungen begannen viele Wochen oder gar Monate vor dem Ausflug mit der Sammlung von Heliomalt Gutscheinen, die wir dann in Eishockey Helme umtauschten. Ich denke wir hatten auf diese Weise insgesamt vier gelbe Helme erstanden. Dazu kauften wir Stirnleuchten, die ich zu Hause in der Werkstatt auf diese Helme montierte. So hätten wir bestens ausgerüstet sein sollen."

Heliomalt-Helm mit Lampe

Denise – sie spricht von der "Mutprobe meines Lebens":
"Wir trugen alle alte Kleider, einen Helm und hatten eine Karbidlampe an der Stirn. Die Hände und Arme mussten zum Robben frei bleiben. 
In der Höhle war es dunkel, zeitweise sehr eng, es ging auf und ab. Einmal überquerten wir eine Schlucht mittels Hängebrücke. Das war vielleicht etwas! Es gab auch Strickleitern, um ein Hindernis zu überwinden. Ich erinnere mich schwach an Wasser, das überquert werden musste. 
Immer wieder trafen wir auf Stalaktiten und Stalagmiten."

Peter:
"Hölloch: Ja eine wunderbare Erinnerung an die Unterwelt, an eine spezielle Unterwelt, an der auch politisch nichts auszusetzen war.
Der Einstieg, die Spannung, die verschiedenen Gesteins- und Stalaktiten- und Stalagmiten-Formen. Ich glaube, er [H. Daeniker] hat uns noch gewarnt, auf der Rutsche nach unter, dass da das „Rüebli“ mitten auf dem Weg beachtet werden müsse …"

Alfi:
"Im Zuge einer Rutschpartie durch einen langen, schräg nach unten führenden Tunnel habe ich meinen Kopf etwas angehoben, mit dem Resultat, dass mein Helm die Tunneldecke berührte. Mit einem knackenden Geräusch brach die Stirnlampe ab und es wurde stockdunkel. Durch die Dunkelheit ging es ungebremst weiter bis sich, unten angekommen, die Körper der Beteiligten auf einem Haufen stapelten.
Ich weiss nicht mehr, ob sich dieser Abschnitt vor oder nach der engen Passage befunden hat wo wir auf dem Bauch durch einen Spalt kriechen mussten und ich das Gefühl hatte, den ganzen Berg auf meinem Rücken zu tragen, leicht mulmig."

Denise:
"Ich erinnere mich, dass wir einander in der Höhle Mut machen und helfen mussten. Herr Däniker sagte immer wieder, wir sollen nicht hinunterschauen …"

War es wirklich so, wie ich mich zu erinnern glaube, dass schon bald einmal Röbis Vater von einer Brücke in einen kleinen See fiel; dass er, nass wie er war, dort blieb und auch Röbi dort blieb, damit sein Vater nicht allein sei, bis wir auf dem Rückweg wieder an der Stelle vorbeikämen? Und ist es wahr, dass Harro Daeniker im Labyrinth der Höhlengänge plötzlich nicht mehr wusste, wo genau wir waren, und über den Weg zurück ins Zweifeln geriet?

Jedenfalls: wir fanden schliesslich doch zurück.

Denise: "Wir waren ein paar Stunden lang drin, kamen erschöpft, aber befriedigt – schmutzig wie Kaminfeger – wieder ans Tageslicht."

Alfi: "Am Ende recht müde, aber ein unvergesslicher Ausflug."

Und Peter: "Eine schöne gemeinsame Erfahrung. Ich war seither nie mehr dort, aber die Bilder sind noch sehr präsent – nach fast 50 Jahren."