Die Schulmappe

In der Primarschule hatten die meisten von uns einen 'Thek', mit langem e: 'Theek'. Ein typisch schweizerisches Wort. Im Schweizerischen Idiotikon steht dazu: 

"Theek kommt über das Lateinische aus dem Griechischen. Lateinisch thēca bzw. griechisch thḗkē bedeutete «Behälter, Kapsel, Büchse, Kasten, Futteral für Schreibgerät», im Mittelalter auch «Reliquienschrein». In der Schweiz verstand man im 18. und 19. Jahrhundert unter «Thek» ein Futteral oder eine Mappe für Schriften, Dokumente, Zeichnungen und Ähnliches. Von hier aus ist das Wort im späteren 19. Jahrhundert auf den Schulranzen übergegangen – vorher waren solche extra für Primarschüler hergestellte Rückentragtaschen ohnehin unüblich."

Der typische Thek der Buben war in der Primarschule der mit Fell, der Fellthek.

(Dieses Bild zeigt bereits einen neumodischen Fellthek. Hatten die früheren nicht zwei Laschen, um den Deckel zuzumachen? Und natürlich keine Reflektoren?)

Neulich schrieb der Blick (16.9.2019) unter dem Titel 'Schulthek der Herzen': "Einst ein Standardprodukt, hat sich der Fellthek zu einem Luxus-Accessoire entwickelt." Der letzte grosse Hersteller in der Schweiz habe 2018 die Produktion aufgegeben – zu wenig Nachfrage.

Die Mädchen hatten meist einen Thek ohne Fell, aus farbigem Leder:

Aber eben: das war in der Primarschule. Und die war jetzt weit weit weg. Und der Thek nicht mehr standesgemäss. Jetzt hatten wir 'Mappen'! Und erst mit der Mappe gehörte man zu den Grossen!

Im Internet versucht dann und wann jemand, eine "uralte lederne Schulmappe" zu verkaufen. Offenbar meist erfolglos. Bei einem der Bilder habe ich dann aber plötzlich gedacht: doch, ziemlich genau so sah auch meine aus: Der lederne Griff, an der man die Mappe beim Schlendern lässig hin und her schwingen konnte. Die Aussentasche, die so aussah, als sei sie aufgenäht – in Wahrheit war aber das zusätzliche Futter darunter eingenäht: ein raffiniertes Teil der Mappe, gerade gross genug, um das BDB-Billet aufzunehmen und vielleicht noch das Portemonnaie, wenn es nicht zu dick war. An der Unterseite: das Leder abgewetzt von den vielen Malen, da wir die Mappe über die steinernen Böden der Schulhausgänge schossen, wie man die Kegel in der Kegelbahn wirft, bis die Mappe in die Wand oder die Tür des Klassenzimmers donnerte. Und dann die Kleber auf den Mappen, der individuelle Touch, der die Mappe an die Trägerin, den Träger band, vielleicht der WWF, grün oder orange, mit dem Pandabären schon damals, aber noch 'World Wildlife Fund' und noch nicht 'World Wide Fund For Nature'. Und schliesslich unten die Schnalle, die die beiden Teile der Mappe zusammenhielt. Vom Henkel zur Schnalle: ein geniales Konstrukt mit zwei Taschen in einer, robust, der Inhalt gut geschützt.

Doch wie haben wir das Ding jeweils geöffnet? Klar: Schnalle drücken und durch den Bügel ziehen. Aber dann? Wie ging das – motorisch? Welche Bewegungen waren es, die wir ausführten? Es könnte so gewesen sein: Am Henkel mit der rechten Hand halten, Schnalle öffnen, den rechten Unterarm leicht anwinkeln und in eine horizontale Lage bringen, die linke Hand packt die eine Hälfte der Mappe am unteren Rand und schwingt sie schwungvoll über den rechten Unterarm, so dass diese Hälfte mit der Aussenseite an die Aussenseite der andern Hälfte zu klatschen kommt: offen ist die Mappe! Schwungvoll natürlich deshalb, damit während des Schwungs nicht der ganze Inhalt dieser Hälfte auf den Boden fiel. Logo. Denn aufgeklappt sah das Ding dann so aus:

Die beiden Hälften sind oben nicht geschlossen! Das ist zwar praktisch, weil man sie dann nicht zuerst noch öffnen musste. Aber es war eben auch riskant und setzte voraus, dass man die Schwungtechnik beherrschte. Denn, wie gesagt, ansonsten lag das ganze Schulzeug, Bücher und Hefte und Etui und so, auf dem Boden.

Und jetzt, in aufgeklapptem Zustand, sieht man auch, wie man die geöffnete Mappe halten konnte: an der metallenen Leiste natürlich, die sich über die gesamte Länge der Mappe zog und mit Nieten mit dem Leder verbunden war. Diese Leiste stabilisierte nicht nur die ganze Mappe, sondern diente gleichzeitig auch als Griff. Es ist klar: mit der Zeit und unter der Last des Inhalts begann sich diese Leiste dann über die Jahre zu biegen, und wenn man Pech hatte, lösten sich gar die Nieten. Vielleicht eine der empfindlichsten Stellen der Mappe.

Die beiden Hälften waren nicht tupfgenau gleich: längs der einen Seite gab es eine Doppelwand, vielleicht für die wertvolleren, wenn auch dünnen Dinge: man konnte sie mit einem Reissverschluss abschliessen.

Die Schulmappe: ein robustes Accessoire unserer Schulzeit.

Und wie trägt man heute seine Schulsachen in die Bez? Farbiger und raffinierter und auf dem Rücken. Im Rucksack.

        

 

Und dann gibt es natürlich noch die Girls, die bereits in frühen Jahren die grossen Handtaschen von Michael Kors & Co. bevorzugen. Aber das ist eine andere Geschichte.