18. Dezember 1972, Montag: Eintrag im Poesiealbum

"Das Poesiealbum, in der Kurzform auch Poesie genannt, ist ein fest eingebundenes, oftmals quadratisches Buch im Format von etwa 16 cm × 16 cm mit weißen Seiten, in das Zitate in Form von Reimen und Versen (Zweizeiler, Vierzeiler usw.) eingetragen werden können. Zeichnungen, Ornamente, Bilder und Fotos dekorieren die Zitate oft noch. Das Poesiealbum erinnert – wie das Tagebuch – an Menschen, mit denen der Lebensweg oder Lebensabschnitte wie Schule, Ausbildung oder Studium geteilt wurde. Durch die Beziehung zwischen dem Besitzer des Albums und den Eintragenden wird das Poesiealbum zum Dokument einer bestehenden oder gewesenen persönlichen Beziehung." (Jürgen Rossin, zitiert in Wikipedia; herauskopiert am 15.12.2022)

Mein altes Poesiealbum ist 14 auf 17 cm, hat weisse Seiten, und es finden sich darin Reime und Verse, Zeichnungen und Ornamente und Fotos.

Bekommen habe ich es ziemlich sicher im Herbst 1964 von Jocelyne, der älteren Schwester von Pierre, der mit mir in der Klasse war. Die beiden waren oft bei uns, manchmal auch in den Ferien. "…en souvenir de…", schrieb Jocelyne auf die erste Seite,

und auf der gegenüberliegenden Seite trug ich ein, im fehlerhaften Französisch meiner sieben Jahre: "Les souvenir de Mes camarades de La Neuveville".

In den folgenden zwei Jahren zeichneten und schrieben ins Album Pascal und France und Martina und Silvia, Alberto und Ernest, Diane und Denise, Pierre und Jean-Pierre, Jacqueline und Jocelyne und und und, und sogar Rose Eguet, die streng-liebevolle Lehrerin meiner ersten beiden Jahre in der Schule, fand warme Worte.

Dann, nach Mitte 1966, trat Stille ein im Poesiealbum.

Ist das Poesiealbum nicht eigentlich etwas für kleinere Kinder? Vielleicht. Wahrscheinlich. Aber aus irgendeinem Grund fiel mir mein Poesiealbum Ende 1972 wieder in die Hände oder ich dachte daran und holte es wieder hervor. Wohl, weil bald fini luschtig sein würde in der Bezirksschule, und all jene, mit denen wir jetzt noch eine gute Zeit verbrachten, neue Wege gehen würden.

In den letzten Tagen, ab Mitte Dezember 72, hatten wir uns nach der Schule immer wieder bei jemandem zu Hause getroffen, um Ping Pong zu spielen, haben oft zu viert gespielt: Doris, Sigrid, Dani und ich. Ihnen habe ich das Album mitgegeben, und sie haben geschrieben und gezeichnet und ein Bild von sich eingeklebt, ein Bild aus dem Foto-Automaten, bei dem man immer ein paar Minuten warten musste, ehe der Streifen mit den vier Bildchen, noch leicht feucht, unten ins Ausgabefach fiel. Sigrid schrieb sich am 5. Januar ein, Doris am 24. Dezember, und Dani heute, am 18. Dezember 1972.

Das waren dann die letzten Einträge.

Heute, Ende 2022, heisst das Poesiealbum meistens Freundebuch. Und seine Seiten sind meist nicht weiss und leer, sondern erinnern eher an einen Fragebogen.

Aus einem Inserat für ein 'Freundebuch'