Aufsätze in der dritten Bez

Die Aufsätze sind länger geworden in der dritten Bez. Oft sind sie drei bis vier Seiten lang in unseren Heften, manchmal länger.

Pia hat ihre Hefte ebenfalls aufbewahrt. Sie hat zehn Aufsätze geschrieben, ich einen mehr. Und beim letzten kam, vielleicht zum ersten Mal, das Ende unserer Zeit an der Bezirksschule in Sicht: Mein letzter Aufsatz ist nur überschrieben mit 'Thema 1 der Abschlussprüfung 1972'.

Der Lehrplan von 1972 sieht im Schriftlichen vor: "… Aufsätze zur Berufswahl, über menschliche Begegnungen und Beziehungen zur Umwelt, über Theater, Film und Massenmedien." Was auffällt, das Argumentieren hat einen höheren Stellenwert erhalten.

Hier wiederum, wie in der zweiten Bez, Themen und Fragmente aus den Aufsätzen von Pia (PW) und von mir (TK). Die Schreibung ist – wie üblich – original.

Aufsatz Nummer 1, 30. April 1971: 'Ist es sinnvoll, wenn ein Schüler während der Ferien einer Beschäftigung (Job!) nachgeht?'

Pia ist skeptisch: "Beim Arbeiten werden die Schüler vielmals ausgenützt und müssen Arbeiten verrichten, die Andern zu blöd sind." Auch ich sehe Nachteile, etwa: "(…) dass wenn man die ganzen Ferien hindurch sich abrackert, hat das auch keinen Sinn mehr; die Ferien sind schliesslich da für Erholung und Entspannung." Einer der möglichen Vorteile: "Man wird durch eine Arbeit auch etwas unabhängiger von den Eltern, so dass sie einem nicht immer nachrennen und jede Kleinigkeit aus dem Weg räumen müssen."

Nach diesem Aufsatz gehen wir das Ganze systematisch nochmals durch: "Wir erarbeiten ein Modell zu Aufsatz Nr. 1": Ganz einfach: A: Einleitung. B: Was spricht dafür? (Argumente). C: Was spricht dagegen? (Argumente) D: Schluss

Aufsatz Nummer 2, 21. Mai 1971: 'Durch Schaden wird man klug'

Pia zieht nach der Schule einen fremden Mantel an, der genau gleich aussieht wie ihrer; nur fehlt im fremden Mantel ihr Hausschlüssel! Die Sache klärt sich dann, und: "Ich habe bis heute nie mehr einen falschen Mantel angezogen."

Bei mir geht's um einen Velo-Ausflug ohne Pumpe – und prompt haben wir einen Platten. Lehrer Caduff greift mehrmals stilistisch ein und setzt das konjugierte Verb dorthin, wo es hinsoll: an den Schluss des Satzes: "Sie wollten eine kleine Velotour unternehmen von ihrem Dorf aus rund um den Bielersee bis zur St.Peters Insel (unternehmen), wo sie Frösche fangen wollten." Später, als ich Radio machte, war das eine der ersten Regeln, die über Bord flog: je weiter hinten das konjugierte Verb, desto schwieriger ist der Satz zu erfassen, wenn man ihn hört…

Aufsatz Nummer 3, 4. Juni 1971: "Strohhütten' von Maurice de Vlaminck (Bildbeschreibung)'

Zuerst, bei beiden, etwas zum Leben des Malers; dann zum Bild.

"Er gehörte zu den Fauvisten, das sind Künstler, die ziemlich wild mit Pinsel und Farbe umgingen." (PW)

"Die Türe steht weit offen. Vom Dach herab hängen lange Strohstränen und die zwei dunklen Schornsteine ragen in den ebenso dunklen Himmel hinein." (TK)

Bild im Aufsatzheft

Aufsatz Nummer 4, 20. August 1971: 'Wie ich einem Menschen das Leben rettete (Phantasieaufsatz)'

Pia fährt mit dem Bruder in einem Boot aufs Meer und rettet einen Ertrinkenden. "Ich war jetzt ziemlich erschöpft, denn dieser Ertrinkende benahm sich wie ein wildgewordener Löwe." – "Da mein Bruder und ich nicht allzuviel von erster Hilfe verstanden, fuhren wir sofort mit dem Motorboot los." Pia hat im Spätherbst dann sicher den Samariterkurs besucht!

"Es hatte gerade drei Uhr geschlagen. Friedlich schlummerte ich in meinem Liegestuhl, die Sonne brannte unerbärmlich hernieder." Dann stürzt ein Flugzeug ab, der Pilot rettet sich mit dem Schleudersitz, und ich hole den Bewusstlosen aus einer Flammenhölle… (TK)

Aufsatz Nummer 5, 17. September 1971: 'Eindrücke vom Jugendfest'

In meinem Heft liegt zuhinterst auch ein Blatt mit den Themen, aus denen wir auswählen konnten:

Auf dem Blatt schrieb ich auch gleich den Entwurf des Aufsatzes, bevor er dann ins Heft kam.

Sowohl Pia als auch ich haben uns für das erste Thema entschieden. So schrieben wir unsere Briefe an Vera beziehungsweise Seppel mit unseren Eindrücken vom Jugendfest, erzählten vom Dreikampf am Sporttag und von der 1-zu-7-Blamage der Lehrer im Fussball-Match gegen die Schüler, oder von unserer Teilnahme am Umzug am Samstagabend: "Um 19:45 Uhr mussten wir zum Lichterumzug abmarschieren. Unsere Klasse hatte auf schwarze Strumpfhosen und schwarze Rollkragenpullover mit Leuchtfarbe ein Skelett gemalt." (PW). Oder vom grossen Ball am Freitagabend: "Das war wirklich ein schwacher Punkt am Jugendfest. Anstatt die Musik in die grosse Festhütte zu bringen, wurde der ganze Jugendball im Musiksaal abgehalten." (TK)

Aufsatz Nummer 6, 22. Oktober 1971: 'Warum wollen viele Familien ein eigenes Haus besitzen?'

Ja, warum eigentlich? "Erstens können sie, wenn sie etwas lärmende Kinder haben, diese sich austoben lassen, es kommt dann kein anderer Mieter und klopft wütend an die Tür um Ruhe zu verlangen." (TK) Ja, die Nachbarn! "Den meisten Leuten verleidet es, immer in einer Wohnung zu leben, weil sie wenig Platz haben und weil sie immer Rücksicht auf die andern nehmen müssen." (PW)

Aufsatz Nummer 7, 19. November 1971: 'Mein Zimmer und was es mir bedeutet'

Die Poster "von Beat-Gruppen, aber auch von Sportlern, Tieren und Landschaften" bei Pia, "die einen mit Tieren, die andern mit Sängern und Mondaufnahmen" bei mir; die Bücher in den Gestellen und die Souvenirs, die man von Reisen mitgebracht hat, und sogar der Franz von Assisi hängt da, "den wir für Weihnachten 1969 herstellten" (TK). Pia wünscht sich eine Veränderung: "Ein roter Spannteppich und rote Tapeten möchte ich haben und dazu weisse Möbel." Der Blick aus meinem Fenster geht "auf die wie Pilze aus dem Boden schiessenden Wohnblöcke." Und was bedeutet uns unser Zimmer? Pia: "Das Zimmer sollte ein Abbild des Bewohners sein, und das ist mein Zimmer." Und bei mir tönt es fast gleich.

Aufsatz Nummer 8, 10. Dezember 1971: 'Weihnachten in einer kriegerischen und hasserfüllten Welt'

Pia hat den Aufsatz verpasst und bei mir wird es politisch: "Aber nicht nur in Vietnam wird gekriegt, auch im Nahen Osten liegt man sich schon seit Jahren in den Haaren. Dort, wo Israelis ihre im Sechs-Tage-Krieg eroberten Gebiete nicht zurückgeben wollen, dort, wo die Araber ihren Feinden unbedingt keine Ruhe lassen wollen und auch dort mussten die Grossmächte ihre Nase ins Wespennest stecken."

Aufsatz Nummer 9, 7. Januar 1972: "Spitzen im Bogen' von Wassily Kandinsky (Bildbetrachtung)'

Bild aus dem Internet

TK: "Ausserhalb des Bogens dominieren eindeutig die Kreise. Aus einem Blauen Rechteck, das knapp über den grünen Wogen steht, scheinen sie wie Seifenblasen herauszusprudeln, immer grösser werdend."

PW: "Ich würde mich sehr glücklich schätzen, wenn ich dieses Gemälde in meinem Zimmer hätte, denn es gefällt mir ausgezeichnet!"

Aufsatz Nummer 10, 11. Februar 1972: Eine Nacherzählung

Wieder ein Blatt in unseren Heften:

Haben wir das von Lehrer Caduff zuerst nur vorgelesen bekommen? Und wie stark sollten / durften wir ausschmücken? Offenbar war die Freiheit recht gross: bei mir landet der arbeitslose Mann, der sich die Geldtasche des Fabrikanten schnappt, im Gefängnis; bei Pia erbarmt sich der Fabrikant und verschafft dem Arbeitslosen sogar noch eine Stelle.

Aufsatz Nummer 11, 10. März 1972: 'Thema 1 der Abschlussprüfung 1972' (TK) / 'Reklame' (PW)

Wir haben oft die gleichen Themen gewählt – falls man wählen konnte. Hier nicht: Pia schreibt über die Verlockungen und Gefahren der Fernsehwerbung und zitiert: "'Nehmen Sie 'Fa' und sie fühlen sich den ganzen Tag so frisch, wie wenn sie im Ozean gebadet hätten.'" Das wirkt: "Wenn wir Turnen haben, nehmen wir Mädchen meistens einen Spray mit und damals hatten wirklich die meisten Mädchen 'Fa'-Spray. Man will sich ja eigentlich nicht beeinflussen lassen durch Reklame, aber man tut es unbewusst oder bewusst doch."

Bei mir ging's wohl darum – die Aufgabenstellung hat sich nicht erhalten –, eine Geschichte rund um einen kurzen Zeitungsbericht zu schreiben. Der Bericht: "An Unterkühlung starb in Gurtweil (D) Christine Passarge (15), die aus einem Erziehungsheim ausgerissen war."

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Veröffentlicht: 20.8.2021 
20.8.1971: wir schreiben Aufsatz Nummer 4