18. und 19. August 1972, Freitag und Samstag: Schulreise ins Tessin

Es gibt aus unserer Schulzeit nur wenige Fotos. Mit einer Ausnahme: der Schulreise während der vierten Klasse. Da gibt es sogar eine Art Klassenfoto:

Wer hat es aufgenommen? Unser Klassenlehrer seit Anfang der Vierten, Peter Bundi?

Auf der Foto sind nicht alle aus unserer Klasse drauf, aber die meisten. Auf der oberen Tischhälfte, von links nach rechts: Röbi, Julian, Pia, Susanne, Irène, Christine, Astrid, Jacqueline, Brigitte. Untere Tischhälfte, von links nach rechts: Thomas K., Roland, Dani, Alfi, Jörg, Ralph, Jürg, Thomas Z., Edith, Anita, Denise.

Das Bild muss am Morgen des zweiten Tages aufgenommen worden sein: wir sitzen am Tisch, streichen unsere Brote, Alfi hat eine Tasse (Kaffee? Ovomaltine?) in der Hand. Der Ort: Fossei, ein Weiler oberhalb von Mergoscia. Heute sieht der Ort, von oben mit der Google-Maschine aufgenommen, so aus:

Susanne sagt, damals seien es vermutlich weniger Häuser gewesen.

Darüber, wann die Schulreise stattfand, gibt Danis Fotoalbum Auskunft –  und wir wollen mal annehmen, dass die Angaben stimmen: er schreibt vom "18. + 19. August".

In meinem Karsumpel aus der Zeit in Bremgarten habe ich einen kleinen Zettel gefunden, der zwar kein Datum trägt, bei dem aber doch schnell klar wird, worum es sich handelt:

Ein perfektes Programm für die beiden Tage! Wir fahren früh am Morgen des ersten Tages ab und erreichen Locarno kurz nach 10 Uhr. Dort: kurzer Besuch der Kirche Madonna del Sasso. Fahrt mit dem Postauto von Locarno nach Mergoscia und dann: "Wanderung". Wanderung? Am Nachmittag des gleichen Tages, mit Ziel Fossei, wo wir übernachten? Oder ist es ein Hinweis auf die Route, die anschliessend angegeben ist: "Mergoscia – Cimetta (A. Cardada) – Madonna del Sasso – Locarno"?

Es sieht eher so aus, als sei das die Wanderung des zweiten Tages, die in Locarno endet. Von dort aus besuchen wir die Brissago-Inseln und fahren anschliessend zurück in den Aargau, wo die BDB um 23:00 eintrifft.

Ein wunderbarer Plan. Nur: War es tatsächlich so? Sind wir wirklich so gelaufen? Von Mergoscia nach Locarno?

Ich habe von dieser Schulreise fünf Fotos gemacht. Und sie sind auf dem Negativ so angeordnet:

Das erste Bild zeigt die Kirche von Madonna del Sasso. Das zweite ist, wie sich schnell überprüfen lässt, vom Aussichtspunkt Cimetta aufgenommen. Das dritte hält einen Halt auf der Alpe di Bietri fest. Das vierte ist in Fossei, wo wir übernachtet haben, und das fünfte zeigt den Ausblick auf den Staudamm, aufgenommen wohl in der Nähe der Chiesa dei Santi Carpoforo e Gottardo in Mergoscia.

Die Fotos legen nahe: wir sind nicht von Mergoscia nach Locarno gewandert, sondern von Locarno nach Mergoscia!

Auf eine Karte der damaligen Zeit übertragen könnte unsere Wanderung dann so ausgesehen haben – mit den Orten, wo fotografiert wurde (Punkt 4: Ansicht von Faedo; aufgenommen von Peter Bundi?).

Oder etwas grösser, ohne Madonna del Sasso:

Von Mergoscia nach Locarno oder von Locarno nach Mergoscia? Bisher hat sich von jenen, die ich gefragt habe, niemand festlegen wollen. Und wenn ich die Wahl habe zwischen der Reihenfolge der Fotos auf den Negativen und meinen Notizen, vertraue ich eher den Fotos. Auch die zeitlichen Verhältnisse sprechen eher für diese Variante. Waren die Notizen auf dem Zettel also nur der 'Plan', der dann im Tessin geändert wurde?

Machen wir uns also auf die Reise!

Das Wetter stimmt, der Himmel ist mit Wolken durchzogen, aber die Sonne scheint, als wir, nach der Ankunft in Locarno, die Kirche Madonna del Sasso erreichen.

Foto: Thomas

Es dürfte da, wenn wir nach der Ankunft um 10 Uhr gleich losmarschiert sind, kurz vor 11 gewesen sein.

Fast vom gleichen Ort aus sieht man, wenn man den Kopf dreht, auf den Lago Maggiore und die kleinen Brissago-Inseln:

Foto: P. Bundi?

Gut möglich, ja sogar wahrscheinlich, dass wir anschliessend die Gondel-/Sesselbahn auf die Cimetta genommen haben. Von der Bergstation bis zum Aussichtspunkt sind es nur ein paar Meter. Dort bot sich uns ein Blick auf das Maggia-Delta, den See und die Berge dahinter:

Foto: Thomas

Dann beginnt die eigentliche Wanderung. Von der Cimetta aus, auf 1670 Metern, durch die baumlose Landschaft noch etwas den Hang hoch, vorbei an der Cima della Trosa, wo wir auf gut 1840 Metern den höchsten Punkt erreichen und dann, auf der andern Seite des Berges, ins Valle di Mergoscia kommen. Auf der Alpe di Bietri ein ausgiebiger Halt, es wird schon einiges nach Mittag gewesen sein.

Foto: Dani
Foto: Dani
Foto: Dani
Foto: Thomas
Foto: P. Bundi?

Etwa einen Kilometer weiter kommen wir zur Ortschaft Faedo. Den Blick ins Tal gerichtet: Ella Bundi, die Frau des Lehrers. Die beiden waren unsere einzigen Begleiter. Im Hintergrund, ebenfalls am Abhang, die Ortschaft Motta.

Foto: P. Bundi?

Und dann erreichen wir Fossei, wo wir die Nacht verbringen werden.

Foto: Dani
Foto: Thomas

Susanne, die den Ort gut kennt, weil sie auch in mehreren Blauring-Lagern dort war, erinnert sich, wie wir uns nach der Ankunft eingerichtet haben:

Neben den drei Häusern gab es eine Küche, WC-Häuschen und eine grosse Wiese, wo wir auch das Nachtessen genommen haben. Und dann schlafen gegangen sind.

Wer hat sonst noch am 'falschen' Ort übernachtet? Pia sicher. Sonst?

Auf jeden Fall: An Schlafen war vorderhand nicht zu denken.

Nach der langen Nacht das Morgenessen mit dem 'Klassenfoto'.

Foto: P. Bundi?

Und die Nacht war dann doch noch einmal kurz ein Thema:

Irgendwann haben wir aufgeräumt, gepackt, und uns auf den Weg gemacht hinunter nach Mergoscia. Etwa bei der Chiesa dei Santi Carpoforo e Gottardo entstand dieses letzte Bild, hinunter auf die Häuser von Mergoscia und den Lago di Vogorno mit der Staumauer.

Foto: Thomas

Dort in der Nähe nehmen wir dann das Postauto und fahren nach Locarno. Es reicht gut, um dort etwas zu essen.

In Locarno fährt auch das Schiff, Abfahrt Punkt 13 Uhr, das uns in 50 Minuten auf die Brissago-Inseln bringt. Zwei Stunden dort, in diesem kleinen  Paradies, dann zurück mit dem Schiff nach Locarno.

Kurz nach 18 Uhr sind wir im Zug Richtung Deutschschweiz, und nachts um 11, genau, steigt ein kleiner gewordenes Grüpplein in Bremgarten aus der BDB, verabschiedet sich und sagt Gutnacht.

So könnte es gewesen sein.