10. Februar 1970, Dienstag: Giovanoli, Bronze!

Die ganze Woche war Ski-Weltmeisterschaft in Val Gardena. Es muss mich mächtig beschäftigt haben: Ein ganzes Schulheft habe ich damit gefüllt, mit den Ranglisten aller Rennen, einigen Kommentaren, und viele Fotos eingeklebt. Und zu Beginn der grosse Titel:

Die Schweizerinnen und Schweizer, die an den Start gingen, waren damals ja nicht so waaaahnsinnig gut: Im Weltcup-Gesamtklassement der vergangenen Saison 1968/69 war der beste Dumeng Giovanoli gewesen, als neunter, die beste Fernande Schmid-Bochatay als 16. Bei den Männern waren die Österreicher die führende Nation, vor den Franzosen, dann kamen die Schweizer. Bei den Frauen war Frankreich vorn, vor Österreich, den USA, der BRD, und erst als fünfte die Schweiz. Wollte man da viel erwarten?

Wenn heute Skirennen sind, kann man sie live auf dem Smartphone verfolgen. Das ging damals natürlich nicht. Aber: wir hätten am Fernsehen zuschauen können! Jedenfalls übertrug das Schweizer Fernsehen den zweiten Lauf des Männer-Riesenslaloms an diesem Dienstag direkt.

Bremgarter Bezirksanzeiger vom 6.2.1970, Programmvorschau

Und wenn man einen Farbfernseher hatte, konnte man das Rennen sogar in Farbe sehen! Dafür stand das x im Programm. Sooo viel in Farbe gab es allerdings noch nicht. 14 Sendungen sind an jenem 10. Februar im Schweizer Fernsehen angegeben, 4 Mal hatte es ein x vorne dran: Die WM live und in der Wiederholung am späten Abend, die sechsminütige (!) Sendung 'De Tag isch vergange' und die Serie 'Verliebt in eine Hexe' (Ou ja, die Fernseh-Serien damals! Das wäre auch mal ein Thema!). Und eben: zuerst musste man noch einen Farbfernseher haben. Das hatten noch nicht alle. Im Bremgarter Bezirksanzeiger wurde gerade Werbung gemacht für die neuen Apparate:

Wie gesagt: Allzuviel konnte man nicht erwarten aus Schweizer Sicht, und live schauen ging auch nicht, ich mag mich nicht erinnern, dass wir in der Schule einen Fernsehapparat gehabt hätten – oder?

Jedenfalls: Dumeng Giovanoli konnte den dritten Rang, den er im ersten Lauf am Vortag vorgelegt hatte, verteidigen, und holte sich die Bronze-Medaille! Eine Medaille für die Schweiz! Gewonnen wurde das Rennen vom Österreicher Karl Schranz, vor Werner Bleiner, ebenfalls Österreich.

Neben das Bild habe ich damals geschrieben: "Zwei alte Füchse im Ski-Rennsport. Dumeng Giovanoli und Karl Schranz."

Weshalb fuhren die denn die beiden Läufe an zwei Tagen und nicht an einem wie heute? Vielleicht wegen den langen Läufen? Die Siegerzeit von Schranz betrug jedenfalls 4:19,19 Minuten! Zum Vergleich: Henrik Kristoffersen, der 2019 in Åre im Riesenslalom Weltmeister wurde, brauchte für seine zwei Läufe gerade einmal 2:20,24 Minuten.

Giovanolis Bronze-Medaille war aber nur der Anfang – es sollte für die Schweizer Delegation noch viel besser kommen. Bereits am Tag danach, am Mittwoch, dem 11. Februar, nahm Annerösli Zryd mit Startnummer 5 die Abfahrt in Angriff – und gewann sie glatt. Die grossen Favoritinnen – Olga Pall, Wiltrud Drexel, Annemarie Pröll, Isabelle Mir, Annie Famose – liess sie alle hinter sich.

Annerösli Zryd

Und dann kam der Sonntag, der letzte Tag der WM. Und der wurde der grosse Tag eines gewissen Bernhard Russi, den niemand zu den Favoriten gezählt hatte.

Bernhard Russi

Im Ziel: Bestzeit! Geschlagen all die grossen Abfahrtskanonen, Karl Schranz, Karl Cordin, Henri Duvillard… Entsprechend die Reaktion im Zielraum – man konnte offenbar einfach zu den Rennfahrern laufen…

Und im Zielraum war auch die andere Weltmeisterin, Annerösli Zryd:

Wenn man die Bilder bewegt, sieht das so aus – links der Slalom der Männer, in der Mitte die Abfahrt der Männer, und rechts die Abfahrt der Frauen:

 

Während Zryd Ende der Ski-Saison 1969/70 mit Skirennen aufhörte und danach im Berner Oberland ein eher zurückgezogenes Leben führte, ging der Stern von Russi in Val Gardena erst auf. Er gewann noch manches Rennen, baute danach Ski-Pisten und trug Brillen und fuhr Autos, für die er Werbung machte. Man sieht ihn da und dort noch heute von einem Plakat lächeln. Als Co-Moderator von Ski-Rennen am Schweizer Fernsehen wirkte er bis im Frühjahr 2017. 

Beim Anschauen all der Bilder begrub mich eine Lawine von Wehmut: es war die Zeit des schönsten Skis, den es je gab; von dem ich träumte: wenn ich der Giovanoli wär, würde ich auch diesen Ski fahren. Einen Ski, oben so weinrot wie der edelste Burgunder und unten so hell und blau wie der Himmel im Engadin; lang und schlank und wenig tailliert; keine protzigen Logos, keine schreierischen Beschriftungen, sondern schlicht und dezent und zurückhaltend nur: ROSSIGNOL STRATO. Man vergleiche nur mit den heutigen Skis!

   

Und da gibt es ja noch den einen oder andern Unterschied, der ins Auge sticht:

Beat Feuz, der heutige Bernhard Russi, beim Interview als Sieger der 2020-er-Ausgabe des Lauberhornrennens. Kann man sich Russi mit einer Trinkflasse – Werbung! – in der Hand vorstellen? Kann man sich Russi mit so einer Dächli-Kappe – Werbung! – auf dem Kopf vorstellen? Kann man sich Russi mit einer vollgekleisterten Skijacke – Werbung! – vorstellen? Russi, Zryd, Giovanoli: keine Flasche, keine Dächlikappe, auf dem Anzug irgendwo klein das Zeichen des Ski-Verbands.

Und ein Letztes: Sowohl im Slalom wie auch im Riesenslalom trugen sie noch keinen Helm, sondern eine Wollmütze, um die Ohren warm zu halten…