Die Kletterstange

Neulich sagte mir ein Freund: "An der Kletterstange war ich im Gymi der Schnellste. Weiss nicht mehr genau, wie lange ich hatte, aber unter 3 Sekunden. Das war sogar Schulrekord."

Seit damals sind in der Schweiz viele Kletterstangen abmontiert worden. Die Bernerzeitung brachte am 9. April 2019 einen Artikel mit dem Titel 'Das Ende von Kletterstangen und Co.' Das Problem: die Sicherheit. Im Artikel wird ein Gemeinderat von Huttwil zitiert. Wenn ein Kind hinunterfalle, sich verletze, weil der 'Fallschutz' nicht ausreichend sei, "Dann haben wir ein gröberes Problem." Dann wird es juristisch und schwierig.

War das während unserer Bez-Zeit auch schon ein Thema? Die Kletterstange war jedenfalls da, und wir mussten hoch. Keine Frage. In der Turnhalle und draussen. Ich seh einige, die sich draussen nicht nur hochzogen, sondern oben auch über die Querstange kletterten, um anschliessend auf der andern Seite hinunterzugleiten.

Man musste hoch, und es war ein Wettbewerb. Für die einen ein Leichtes, für andere ein Krampf – und für Einzelne ein Elend, damals und wohl auch im Rückblick noch. Wer es geschafft hatte, konnte sich irgendwo hinsetzen und jenen zuschauen, die es noch vor sich hatten. Immer mehr sassen und schauten zu. Bis am Schluss nur noch einer an der Stange stand, hochsprang, sich festklammerte mit den Beinen, sich hochzog mit den Armen, versuchte, sich hochzuziehen, still an der Stange kleben blieb, reglos, und dann hinunterglitt. Nicht geschafft, nicht in Ansätzen. Zwei Meter ab Boden, kaum. Wie hoch war die Kletterstange? 5 Meter? Der Turnlehrer und der Schüler, die beiden einzigen, die noch standen. Alle andern sassen und schauten zu. "So, noch einmal, hopp!" Aber auch diesmal reicht die Kraft nicht. "Streng dich an!", der Ton wird schärfer. Noch einmal. Anderthalb Meter hoch – und zurückgleiten. Elend.

Viele Kletterstangen sind verschwunden. Weil sie gefährlich sind, weil es neue Vorschriften gab, weil sie eine Plage sein können für die Kinder. 2005 zitierte die NZZ einen Urs Schildknecht vom Dachverband der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer: "Es bringt nichts, wenn sich die Kinder an der Stange quälen."

Im gleichen Artikel kommt auch der damalige Bundespräsident Samuel Schmid zu Wort: "Wir sind ein Volk von Sitzern und Fahrern geworden." Man bewege sich weniger, schreibt die Autorin des Artikels, sei weniger beweglich, nicht mehr so schnell, nicht mehr so kräftig, dafür etwas schwerer.

In vielen Turnhallen kommt die Stoppuhr seltener zum Einsatz, Leistung hat einen weniger hohen Stellenwert, Kreativität einen höheren. Eine der – messbaren – Folgen: 1982 brauchten die jungen Männer bei der Rekrutenprüfung 4,8 Sekunden, bis sie bei der Kletterstange oben anschlugen, 2002 waren es 5,7 Sekunden. Wenig später wurde das Klettern als Teil der Rekrutenprüfung abgeschafft.

In Bremgarten steht noch immer eine Kletterstange. Sie hat Rost angesetzt. Ob da noch jemand klettert?