Briefmarken

Röbi kann ich nicht mehr fragen. Er hätte allenfalls noch gewusst, wann es war, dass wir bei uns im Estrich am Boden sassen und Marken sortierten. Tonnenweise Marken. Marken, die ich von meiner Grossmutter bekommen hatte, alle in einem riesigen Karton, unsortiert, die meisten noch auf ein Stück Papier geklebt, das als Teil eines Briefes oder einer Postkarte erkennbar war. Daneben noch ein paar intakte Postkarten, alle aus einer Zeit, als wir noch nicht auf der Welt waren. Und ein oder zwei Alben mit den kartonierten Seiten, über die sich Zeilen aus Pergamentpapier zogen, in die man die Marken fein säuberlich einreihen konnte, wenn sie denn einmal von der Postkarte oder dem Briefumschlag gelöst waren.

Wir sassen da und sortierten. Und irgendwann fiel uns auf, dass eine Marke ganz überdurchschnittlich oft auftauchte:

Die 'Jürg Jenatsch', eine Marke aus der Serie 'Historische Bilder', herausgegeben 1941, mitten im Krieg. Es muss eine besondere Art Post-Sendung gegeben haben, die mit einer Marke von 1 Franken 20 zu versehen war. Nur so war zu erklären, dass dermassen viele Jürg Jenatsch bereits im Album aufgereiht waren…

…und im Karton immer noch weitere und noch mehr auftauchten. "Jenatsch, Jenatsch, nomol Jenatsch, Jequatsch, Jenatsch…"

Dann legten wir die Papierfetzen mit den Marken drauf ins Wasserbad, warteten, bis sich die Klebe nach Jahrzehnten auflöste, fischten die Marken aus dem Wasserbad, legten sie auf ein Fliessblatt und liessen sie trocknen. An einem weiteren freien Nachmittag legten wir sie dann in ein Buch, damit sie flach wurden, und nochmals später reihten wir sie ins Album ein. Und taten das, bis wir irgendwann einmal die Freude daran verloren – oder unsere Freude an anderem grösser wurde – und die Marken, all die Jürg Jenatsch und die andern kunstvollen Bilder aus der Schweiz und aus aller Welt, wieder im grossen Karton verschwanden.