25. Mai 1970, Montag: Aufsatz – Stichwort Schwarzenbach

Gab es nicht sogar Ansteckknöpfe gegen die Schwarzenbach-Initiative? Ich sehe uns jedenfalls auf dem Pausenplatz vor dem Schulhaus diskutieren.

Und die Diskussion war ja schon lange am Laufen. Der Bezirksanzeiger brachte immer wieder Beiträge. Am 3. März hatte Nationalrat James Schwarzenbach selbst seine Argumente darlegen können, weshalb der Anteil der ausländischen Bevölkerung in der Schweiz auf 10 Prozent verringert werden sollte – damals betrug er etwas mehr als 15 Prozent.

Am 13. März konterte das aargauische Komitee gegen die Überfremdungsinitiative unter dem Titel 'Gefährlicher Herr Schwarzenbach'. Eine Annahme der Initiative würde unweigerlich zu zahlreichen Betriebsschliessungen in der Schweiz führen, weil viele Firmen grossmehrheitlich auf die ausländischen Arbeitskräfte angewiesen seien.

Die Abstimmung war auf den 7. Juni angesetzt. Die Debatten verliefen emotional, man argumentierte hin und her, und da dachte sich wohl auch Deutschlehrer Caduff, hier könnten seine SchülerInnen im politischen Denken wie auch im Argumentieren etwas lernen. Das Aufsatzthema am 25. Mai: 'Porträt eines Fremdarbeiters'. Das gab dann in meinem Aufsatzheft zwei Seiten, und die Gedanken gehen – verkürzt – etwa so:

"Auf unseren Strassen begegnen wir heutzutage sehr vielen Ausländern… Sie sind eher klein von Gestalt. Sie haben dunkle, krauselige Haare und ebenfalls dunkle Augen. Ihre Hautfarbe ist von der Sonne gebräunt… Die Fremdarbeiter verrichten fast immer die schmutzigsten Arbeiten… Sie sind von der Erde schmutzig vom Kopf bis zu den Füssen. Welcher Schweizer würde heute noch so arbeiten? Mit dem Geld, das sie verdienen, können die meisten nur das Allernötigste an Lebensmitteln und Kleidern kaufen… An den Wochenenden kommen sie jeweils aus dem Migros, der eine grosse Kriese durchmachen würde, wenn die Gastarbeiter nicht mehr in der Schweiz wären. All diese Gründe muss man auch überlegen, bevor man für die Schwarzenbach-Initiative stimmt. Ich würde sagen, man müsste mit den Gastarbeitern etwas bremsen, aber nicht alle auf einmal aus dem Lande jagen."

Damit lag ich einigermassen auf der Linie der Politik: Der Bundesrat hatte bereits am 16. März beschlossen, die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte zu begrenzen und hatte damit das System der 'Kontingente' geschaffen, das die folgenden Jahrzehnte für die Schweizer Ausländerpolitik prägend war. Dass er mit seinem Beschluss der Initiative den Wind aus den Segeln nehmen wollte, liegt auf der Hand.

Am 2. Juni, wenige Tage vor der Abstimmung, unterzeichneten sämtliche (!) 13 National- und die beiden Ständeräte aus dem Aargau einen Aufruf, in dem sie gegen die Initiative Stellung nahmen. Sie  würden sich zudem verpflichten, "in den Eidgenössischen Räten über die peinlich genaue Durchführung des Bundesbeschlusses vom 16. März 1970 zu wachen" , damit die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte wie vom Bundesrat versprochen nicht mehr wachse.

Die Volksinitiative 'gegen die Überfremdung', der man landauf landab nur 'Schwarzenbach-Initiative' sagte, wurde am 7. Juni 1970 mit 54 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt. 6 Ganz- und 2 Halbkantone sagten Ja. Im Aargau überwogen die Nein-Stimmen. 74,1 Prozent der stimmberechtigten Männer gingen abstimmen (die Frauen durften ja erst ab 1971) – "die höchste Stimmbeteiligung seit 1947" , wie der Bezirksanzeiger in der darauffolgenden Woche schrieb.