18. September 1970, Freitag: Tanzen? Tanzen!

Die Schülermannschaft hatte die Lehrer im Fussball-Match am Sporttag am späten Nachmittag hochkant 6 zu 1 geschlagen, Turnlehrer Fredy Wächter anschliessend die Siegerinnen und Sieger der verschiedenen Wettkämpfe geehrt und dann den Sporttag offiziell für beendet erklärt. Und dann konnte man nach Hause gehen. Oder in die Turnhalle. Dort war nämlich etwas los, was mir bleibenden Eindruck gemacht hat: Es gab Musik – und man konnte, oder sollte, oder musste tanzen!

Meine persönlichen Eindrücke dazu – gefiltert selbstverständlich durch den Zwang der Veröffentlichung, zumindest für die Augen von Lehrer Caduff – finden sich im Aufsatz, den wir im Deutsch am 27. Oktober 1970 zu schreiben hatten: 'Mein erster Tanz'. Das Thema war nicht ganz so eng gezogen, ich hätte mich diesem Tanz entziehen können; Pia wählte etwas anderes: 'Mein erster Kinobesuch'. Daraus liesse sich schliessen: wir sollten über etwas schreiben, was wir erstmals erlebt hatten. Ich war also ganz selber schuld an diesem 'Tanz'.

Also dann: Tanzen. "Als ich mich nach dem Sporttag in der unteren Turnhalle umzog, war ich ziemlich müde, aber trozdem war die Neugier sehr gross, und ich ging mit Dani, Alfred und Röbi in den oberen Stock. Dort war man schon bemüht, Bänke hintereinander zu reihen. Um so wenig wie möglich gesehen zu werden, stiegen wir alle vier zuoberst auf das Holzgittergerüst."

Irgendwann ging dann die Musik los, und die "veranstaltenden 4b Mädchen" forderten alle in der Halle zum Tanzen auf. Uns ging das natürlich nichts an, wir sassen ja zuoberst auf der Sprossenwand. Wir schauten zu. Es ging auch eine ganze Weile gut. "Aber dann, o Weh, kam das Fräulein X auf mich zu und forderte mich zum tanze auf. Aber noch bevor sie etwas sagten konnte, begann ich, die Lampen zu zählen, wie es abgemacht worden war [was für Feiglinge waren wir doch!]. Als ich etwa bei der Mitte angelangt war, begannen auch noch die andern drei zu schupsen, und nach ein paar guten Minuten musste ich kapitulieren." Also hinuntersteigen in die Arena. Warten auf den Beat. Einsatz des Beat. "Zuerst ging es nur mühsam, doch schon nach einigen Takten konnte ich es: dabei muss man nur mit dem Hinterteil schwanken, mit dem Kopf nicken und die Beine schwenken."

Die "lieben Kameraden" oben auf der Sprossenwand hielten natürlich nicht zurück mit blöden Sprüchen, als ich zurückkam. Aber: So schlimm war es gar nicht. Noch ein zwei Mal stieg ich hinunter – die andern wohl auch –, um der Musik nicht nur zuzuhören. (Heute hört man ja oft den Spruch vom 'aktiven zuhören'; mir scheint das immer etwas komisch – als sei es möglich, 'passiv' zuzuhören. Aber das Tanzen als aktives Zuhören zu bezeichnen, das schiene mir durchaus wieder passend).

Irgendwann kam dann der Blick auf die Uhr, es war schon spät, und "wir rannten mit unseren Sporttaschen zum Bahnhof, und als wir dort angelangt waren, bereuten wir es sogar, dass wir nicht länger tanzen konnten."

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Am selben Tag, an jenem Freitag, dem 18. September 1970, starb in London eine der Ikonen der Pop-Musik: Jimi Hendrix. Er hatte grosse Mengen an Alkohol und Schlaftabletten genommen und war an seinem Erbrochenen erstickt.

Vielleicht war an jenem Tanzabend nach dem Sporttag auch etwas von ihm aufgelegt worden, vielleicht Hey Joe.