Von Töchtern und Jünglingen

Suche den Unterschied!

Bremgarter Bezirksanzeiger, 25.2.1972
Quelle: https://auto-eder.de (24.1.2022)

Das erste Inserat ist schwarz-weiss, das zweite farbig!

Zwei Firmen, die neue Angestellte suchen. Damit man nicht Leute abschreckt, die Interesse haben könnten, ist nicht nur das Bild wichtig, sondern auch der Text. Das wording, wie manche heute sagen. Comolli sucht jemand Jungen: einen "Jüngling" oder eine "Tochter". Das ist heute nicht nur démodé, sondern geradezu anstössig. Die AutoEder-Gruppe macht das – sie ist ja von heute – wesentlich besser: Auf dem Bild sind zwei Menschen, die wie Männer aussehen, und zwei, die wie Frauen aussehen. Von der Herkunft her könnte die Gruppe noch diverser sein. Vom Alter her auch – würden Sie sich als älterer Mensch angesprochen fühlen? Die 'Marketing-Assistenz' ist hingegen perfekt: geschlechtsneutral. Und um ja keine Fragen aufkommen zu lassen, ist dahinter noch präzisiert: M / W / D.

Comolli schreibt im Inserat Deutsch. Die deutsche Firma Personio, die im Bereich "People Workflow Automation"…

…tätig ist und unter anderem auch einen "Chief People Officer (CPO)"…

… beschäftigt, gibt sich mehrsprachig – und gibt Tipps, wie man mit Abkürzungen umgeht. Das ist nicht unwichtig, denn "Rechtlich liegt bereits dann eine Benachteiligung im Sinne des AGG [Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz] vor, wenn das Geschlecht in der Stellenausschreibung nicht genannt wird. HR-Verantwortliche, die mögliche Klagen auf Schadenersatz vermeiden wollen, müssen künftig die hohe Kunst des 'Kürzelns' erlernen." Es ist ganz einfach.

Quelle: https://www.personio.de (24.1.2022)

Von all dem wusste man bei Comolli Anfang 1972, als das Inserat im Bezirksanzeiger erschien, noch nichts. Da suchte man, eben, noch Töchter und Jünglinge.

Im Gastgewerbe hatte man sich dafür einen differenzierten Wortschatz zugelegt: Im Frühjahr 72 sucht man im Tea-Room (schöner Ausdruck!) Rex in Bremgarten eine Serviertochter:

Bremgarter Bezirksanzeiger, 25.2.1972

Für die Safari-Bar sucht das Rössli eine Bartochter.

Bremgarter Bezirksanzeiger, 17.2.1972

Schlicht dagegen im Grüenebode in Berikon: dort suchen sie einfach eine Tochter:

Bremgarter Bezirksanzeiger, 24.2.1972

Die Lehrtochter ist natürlich ebenfalls en vogue, auch dort, wo die Töchter Berufe lernen, die bisher den jungen Männern vorbehalten waren. Hier berichtet der Bezirksanzeiger über eine junge Frau, die während ihrer Stationslehre bei der SBB "gleichzeitig auch im bisher nur Männern vorbehaltenen Fahrdienst ausgebildet wird."

Bremgarter Bezirksanzeiger, 17.2.1972

Auffällig bei den jungen Männern der 'Jüngling', der uns eingangs bereits begegnet ist. Nicht nur Comolli sucht ihn, sondern auch Wilhellm + Dousse in Bremgarten: "Interessante, vielseitige Tätigkeit in kleinem Team. 5-Tage-Woche [!], guter Lohn."

Bremgarter Bezirksanzeiger, 3.3.1972

Ganz aus unserem heutigen Wortschatz verschwunden ist auch das 'Fräulein', früher nicht zuletzt der übliche Ruf in der Beiz, wenn man etwas bestellen oder bezahlen wollte. Aber auch sonst gab es das 'Fräulein' oft. Hier werden in Bremgarten gleich drei 'Fräulein' zur Wahl an die Primarschule empfohlen:

Bremgarter Bezirksanzeiger, 18.2.1972

Ja, und auch wir an der Bez hatten unser 'Fräulein': Ruth Debrunner, die uns Englisch beibrachte. Man sprach sie mit "Fräulein Debrunner" an, und so steht es auch auf ihrem BDB-Billet.

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25.2.2022