27. Februar 1973, Dienstag: Elton und der Strommangel

Ist es abwegig anzunehmen, dass ein Wort wie 'Strommangellage' in einem Amt erschaffen wird?

Die Neue Zürcher Zeitung hat alle ihre Ausgaben seit dem Beginn digitalisiert, es lässt sich darin auch nach bestimmten Wörtern suchen. Zum Beispiel 'Strommangellage'. Erstmals taucht das Wort am 4. September 2013 auf, in einem Gespräch mit dem Delegierten des Sicherheitsverbunds Schweiz, einem Gremium, das geschaffen wurde, weil man herausgefunden hatte, dass Sicherheitsfragen zwischen Bund, Kantonen und sonstigen Akteuren schlecht koordiniert werden. Darin ist die Rede davon, dass 2014 – erstmals seit 1997 – wieder einmal in grossem Stil eine Übung stattfinden solle. Und was soll geübt werden? Da sagt André Duvillard, dieser Delegierte: "Das Szenario orientiert sich an den Ergebnissen des Risikoberichts 2012. Eine Pandemie und ein Ausfall der Stromversorgung wurden darin als grösstes Risiko für die Schweiz genannt." Die "Strommangellage".

Das war 2013. Man scheint, trotz der Übung 2014, weder Pandemie noch Strommangel sehr ernst genommen zu haben. Wie man mit einer Pandemie umgehen würde, konnten wir ab 2020 live miterleben. Mancher Entscheidungsträger vom 2020 scheint bei den Übungen damals, 2014, nicht dabei gewesen zu sein. Und die 'Stromangellage' blieb in den Folgejahren ebenfalls ein Gespenst. Bis 2019 taucht sie in der NZZ jeweils höchstens zweimal pro Jahr auf. 2020 gibt die Suche 15 Treffer an, 2021 21 – und dann explodiert die Trefferzahl, und das Wort findet den Weg aus dem Amt in die Köpfe der Bevölkerung. Im Herbst 2022 vergeht kein Tag, an dem man nicht davon hört oder liest. Am 30. November präsentiert der Blick das 'Wort des Jahres': 'Strommangellage'.

Blick, 30.11.2022

Ob wir das Risiko, dass einmal kein Strom mehr aus der Steckdose mehr kommt, jetzt richtig einschätzen – ich weiss es nicht.      

Jedenfalls: das Risiko – nicht das Wort 'Strommangellage'! – tauchte schon viel früher auf. Am 27. Februar 1973 berichtet der Bremgarter Bezirksanzeiger: "Ein von den zehn grössten Produktionswerken der schweizerischen Elektrizitätswirtschaft verfasster Bericht über die Elektrizitätsversorgung der Schweiz in den Jahren 1972 bis 1980 kommt zum Schluss, dass schon in wenigen Jahren mit erheblichen und jährlich zunehmenden Elektrizitätsma[n]kos gerechnet werden muss." Es seien deshalb dringend neue Kraftwerke nötig. Und weiter: "Bei den zu erstellenden Kraftwerken könne es sich nur um thermische Anlagen handeln, wobei aus verschiedenen Gründen lediglich Kernkraftwerke in Frage kämen."

Bremgarter Bezirksanzeiger, 27.2.1973

Wie die Zeiten sich doch gleichen! Damals wie heute spricht man davon, dass der Strom knapp werden könnte. Und wie sich die Zeiten doch geändert haben! Damals sollten neue Kernkraftwerke helfen, den Mangel zu beheben; heute sind neue AKW per Gesetz verboten. Wir haben sie verboten.

Am gleichen Abend vertrieb uns einer alle Sorgen, einer, der Mitte Januar in der Schweizer Hitparade aufgetaucht war und jetzt erstmals zuoberst stand: Elton John mit seinem Crocodile Rock.

Link zum Song

Am 17. April war Crocodile Rock zum letzten Mal in den top ten – und wir schon nicht mehr an der Bez.

Jetzt, 50 Jahre später, ist Elton John immer noch unterwegs. Anfang Juli wird er zweimal das Zürcher Hallenstadion füllen, er ist auf Tour, vielleicht seiner letzten. Sie heisst jedenfalls

Internet-Seite Elton John